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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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juckte es alle in einem fort. Ständig hatte man leichte Beschwerden, in ernsthaftere Erkrankungen schickte man sich.
    Verheerende Seuchen entstanden, Millionen starben, und die Seuchen verschwanden oft, ohne dass man wusste, warum. Am berüchtigtsten war die Pest. Im Grunde waren es zwei Krankheiten: die Beulenpest, die so hieß, weil die Opfer schmerzhafte Beulen am Hals, in den Leisten und Achselhöhlen bekamen, und die noch tödlichere und ansteckendere Lungenpest, die das Atemsystem zerstörte. Doch es gab auch viele andere fatale Seuchen. Die sogenannte Englische Schwitzkrankheit, über die wir immer noch so gut wie nichts wissen, trat als Epidemie in den Jahren 1485, 1508, 1517 und 1528 auf und raffte Tausende dahin. Dann verschwand sie und kam nie wieder (na, bis jetzt nicht, toi, toi, toi). In den 1550er Jahren folgte ihr ein noch seltsameres Fieber, »die neue Krankheit«, die »im ganzen Königreich entsetzlich tobte und an der eine außergewöhnlich große Zahl Männer jeden Standes starb, aber besonders adlige Herren und Männer von großem Wohlstand«, notierte ein Zeitgenosse. Dazwischen und manchmal auch gleichzeitig ereigneten sich Ausbrüche von Ergotismus, dem besagten Antoniusfeuer, das durch eine Vergiftung mit Mutterkorn-Alkaloiden verursacht wurde. Mutterkorn wuchs auf Roggen, und Menschen, die zu viel davon gegessen hatten, fielen ins Delirium, erlitten Lähmungen, bekamen Fieber, verloren das Bewusstein und starben meist. Eigentümlich am Ergotismus war, dass es wie Hundebellen klang, wenn man hustete. Die allerschlimmste Krankheit waren die Pocken, weil sie so häufig vorkamen und so verheerend wüteten. Es gab zwei Haupttypen: die normalen und die hämorrhagischen. Beide waren schlimm, aber Letztere, die Schwarzen Blattern, bei denen innere Blutungen ebenso wie blutgefüllte Pusteln auftraten, waren schmerzhafter und führten häufiger zum Tod. Fast neunzig Prozent der Infizierten starben, ungefähr doppelt so viele wie an den normalen Blattern. Bis ins achtzehnte Jahrhundert — als man mit dem Impfen begann — fielen den Pocken in Europa westlich von Russland 400 000 Menschen im Jahr zum Opfer, so viele wie keiner anderen Krankheit.
    Da die Folgen so unberechenbar waren, wussten die Überlebenden nie, unter welchen sie leiden würden. Viele erblindeten oder trugen schreckliche bleibende Narben davon, doch manche überstanden die Infektion auch unbeschadet. Die Pocken gab es schon seit Jahrtausenden, sie breiteten sich in Europa aber erst zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts aus. In England wurde ihr Auftreten 1518 zum ersten Mal schriftlich festgehalten.
    Es begann mit plötzlichem hohen Fieber, begleitet von fürchterlichen, qualvollen Schmerzen und heftigem Durst. Etwa am dritten Tag bildeten sich normalerweise die Pusteln und überzogen je nach Verlauf mehr oder weniger den ganzen Körper des Kranken. Am furchtbarsten war es, wenn man hörte, dass ein naher Verwandter »übervoll« war. Im allerschlimmsten Falle wurde der Betroffene eine einzige große Pustel. In diesem Stadium stieg das Fieber wieder sehr hoch, die Pusteln brachen auf, und ein faulig riechender Eiter troff heraus. Wer dieses Fieber überlebte, überlebte im Allgemeinen auch die ganze Krankheit. Doch ausgestanden war sie damit noch nicht, denn die Pusteln verschorften und begannen unerträglich zu jucken. Erst wenn der Wundschorf abfiel, wusste man, ob und, wenn ja, wie schwere Narben man behalten würde. Königin Elisabeth I. erkrankte als junge Frau und starb fast an den Pocken, doch sie erholte sich komplett und ohne Narben. Ihre Freundin Lady Mary Sidney, die sie gepflegt hatte, war weniger vom Glück begünstigt. »Als ich ging, war sie eine Dame in der Blüte ihrer Schönheit«, schrieb ihr Mann, »[...] und als ich wiederkam, fand ich sie so schlimm verunstaltet, wie die Pocken eine Dame nur verunstalten können.« Die Herzogin von Richmond, die das Modell für die Figur der Britannia auf dem englischen Penny war, wurde ein Jahrhundert später ähnlich entstellt.
    Die Pocken waren dann leider auch der Grund dafür, wie man andere Krankheiten zu kurieren versuchte. Das Austreten des Eiters führte zu der Annahme, dass der Körper versuche, die Gifte loszuwerden. Pockenkranke wurden also heftig zur Ader gelassen, bekamen Abführmittel und Schwitzkuren, und ihre Pusteln wurden aufgeschnitten. Bald wurden diese »Heil«methoden auch bei allen möglichen anderen Krankheiten angewendet — und fast immer wurde

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