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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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»Entsetzen und Überraschung« reagiere, wodurch wiederum abgestumpfte und erschöpfte Sinne belebt würden.
    Benjamin Franklin versuchte es mit einer anderen Herangehensweise. Während seiner Londoner Jahre entwickelte er eine Vorliebe für »Luftbäder« und sonnte sich nackt vor einem offenen Fenster im oberen Stockwerk seines Hauses. Sauberer wurde er dadurch gewiss nicht, doch es scheint ihm auch nicht geschadet und wenigstens für Gesprächsstoff bei den Nachbarn gesorgt zu haben. Merkwürdig angesagt war auch die »Trockenwäsche«: sich mit einer Bürste abzuschrubben und dabei die eine oder andere Laus zu verscheuchen. Viele Leute glaubten, Leinen habe die besondere Eigenschaft, Schmutz von der Haut zu absorbieren. »Sie )wuschen< sich, indem sie ein frisches Hemd anzogen«, sagt Katherine Ashenburg. Aber die Mehrheit ignorierte Schmutz und Gestank oder bekämpfte sie mit Kosmetika und Parfum. Wo alle stinken, stinkt keiner mehr.
    Dann kam Wasser plötzlich in Mode, wenn auch nur, wie gesagt, als Therapeutikum. 1702 ging Königin Anne zur Behandlung ihrer Gicht nach Bath, prompt stiegen sein Ruf und Ansehen als Heilbad beträchtlich. Annes gesundheitliche Probleme hatten zwar mit Wasser nicht das Geringste zu tun, sondern mit Überfressen, doch schon bald schossen Badeorte wie Pilze aus dem Boden — Harrogate und Cheltenham in England, Llandrindod Wells in Wales. In den Küstenstädten behauptete man allerdings, die wirklich heilenden Wasser kämen aus dem Meer — komischerweise stets nur in der eigenen unmittelbaren Umgebung. Scarborough an der Küste Yorkshires garantierte Linderung bei »Schlaganfällen, Epilepsie, Katalepsie, Schwindel, Gelbsucht, hypochondrischer Melancholie und Blähungen«.
    Der berühmteste Pionier der Wasserkurerei war Dr. Richard Russell, der 1750 (auf Latein) ein Buch über die heilenden Eigenschaften des Meerwassers schrieb, das vier Jahre später als Eine Abhandlung über den Gebrauch des Meerwassers bei Krankheiten der Drüsen erschien. Russell empfahl Meerwasser als wirksames Mittel gegen diverse Gebrechen, von Gicht und Rheumatismus bis zu »Blutandrang zum Kopf«. Leidende sollten nicht nur in Meerwasser eintauchen, sondern es auch in großzügigen Mengen trinken. Russell eröffnete eine Praxis in dem Fischerdorf Brighthelmstone an der Küste von Sussex und hatte solchen Erfolg, dass das Dorf wuchs und gedieh und sich in Brighton verwandelte, weiland der schickste Badeort der Welt. Russell bekam den Beinamen »Erfinder des Meeres«.
    In der ersten Zeit badeten viele Leute nackt (was bei denen, die sich das gern alles genau und manchmal mit Hilfe eines Fernglases anschauten, für große Entrüstung sorgte). Die Zurückhaltenderen hüllten sich reichlich in manchmal gefährlich schwere Roben. Wirklich hoch schlugen die Wellen der Empörung, als die ärmeren Zeitgenossen auftauchten und »Männlein und Weiblein durcheinander« sich am Strand ihrer Kleidung entledigten, ins Wasser stapften und das (für viele) einzige Bad des Jahres nahmen. Damit es wieder gesitteter zuging, wurden Badekarren ersonnen, mit Türen undTreppen ausgestattete Wagen, die man ins Wasser schob und die es den Badenden erlaubten, diskret und ungesehen in die Wellen zu steigen. Ein wichtiger wohltätiger Effekt des Badens im Meer war weniger das Eintauchen in selbiges als vielmehr das energische Abrubbeln mit trockenen Flanelltüchern danach.
    Brightons Zukunft war dauerhaft gesichert, als der Prinz von Wales, also der Thronfolger, es im September 1783 zum ersten Mal besuchte, gerade als die Amerikanische Revolution mit der Unterzeichnung des Vertrages von Paris endete. Er hoffte, Besserung für seine geschwollenen Drüsen im Hals zu finden, und wurde nicht enttäuscht. Brighton gefiel ihm so gut, dass er sofort seinen exotischen Pavillon dort bauen ließ. Und um bei seinen Behandlungen nicht den Blicken des gemeinen Volks ausgesetzt zu sein, ließ er sich ein Privatbad einrichten, das mit Meerwasser gefüllt war.
    George III., sein Vater, der ebenfalls mehr Privatsphäre suchte, ging nach Weymouth, einem verschlafenen Hafenstädtchen weiter westlich in Dorset, musste aber zu seinem Kummer erleben, dass Tausende Untertanen am Strand warteten, um Ihro Majestät alles Gute zu wünschen und beim ersten Wellenbad zuzusehen. Als er in einer gewaltigen Robe aus blauem Serge ins Wasser stieg, intonierte eine in einem benachbarten Badekarren verborgene Kapelle »God Save the King«. Doch dem König wurden seine

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