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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Trips nach Weymouth lieb und teuer, und er beehrte es fast jedes Jahr, bis er zunehmend wahnsinnig wurde und sich den Blicken der Öffentlichkeit nicht mehr preisgeben konnte.
    Tobias Smollett, Arzt und Romanautor, der an Bronchialerkrankungen litt, brachte das Wasserkuren ans Mittelmeer. Zum Erstaunen der einheimischen Bevölkerung ging er in Nizza jeden Tag schwimmen. »Sie fanden es sehr eigenartig, dass sich ein anseheinend schwindsüchtiger Mann ins Meer stürzte, besonders wenn es sehr kalt war, und einige Ärzte prognostizierten seinen alsbaldigen Tod«, schrieb ein Zeitgenosse. Aber die Gewohnheit setzte sich durch, und Smolletts Reise durch Frankreich und Italien (1766) half sehr dabei, die Riviera zu kreieren.
    Es dauerte jedoch nicht lange, bis Scharlatane begriffen, dass mit dem Badespaß leichtes Geld zu verdienen war. James Graham (1745-94) war in dieser Hinsicht besonders erfolgreich. Selbsternannter Arzt, qualifiziert nur durch seine Chuzpe, reüssierte er in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts in Bath und London. Er benutzte Magneten, elektrische Apparaturen und andere surrende Gerätschaften, um Patienten von Gebresten aller Art zu kurieren, insbesondere denen, die für sexuelles Unglück wie Impotenz und Frigidität verantwortlich waren. Er hob das Heilbaden auf ein höheres, reizvoll erotisches Niveau, bot seinen Klienten Milchbäder an, von milden elektrischen Strömen durchflossene Bäder sowie Schlammbäder (die er Erdbäder nannte), und alle in einem theatermäßig aufgemotzten Ambiente mit Musik, klassischen Statuen, parfümierter Luft und spärlich bekleideten Hostessen, von denen eine angeblich Emma Lyon, die zukünftige Lady Hamilton und Geliebte Lord Nelsons war. Für alle, deren Probleme auf diese liebevoll verführerische Fürsorge nicht ansprachen, bot er noch die Benutzung eines riesigen, stark unter Strom gesetzten »Himmlischen Betts« zum Preis von 50 Pfund pro Nacht an. Die Matratze war mit Rosenblättern und Gewürzen gefüllt.
    Leider stieg Graham sein Erfolg zu Kopfe, und er prahlte mit Dingen, die selbst seine ergebensten Anhänger nicht mehr gutheißen konnten. Er hielt eine Vorlesung mit dem Titel »Wie man viele Wochen, Monate oder Jahre leben kann, ohne auch nur irgendetwas zu essen« und versprach in einer anderen seinen Zuhörern ein gesundes Leben bis zum Alter von einhundertfünfzig Jahren. Als er sich zu immer abstruseren Behauptungen verstieg, gingen seine Geschäfte rapide schlechter. 1782 wurde zur Begleichung seiner Schulden sein Besitz gepfändet, und das war das Ende von James Graham.
    Heute wird er immer als skurriler Quacksalber beschrieben, und das war er ja auch, doch man sollte nicht vergessen, dass viele seiner Vorlieben und Überzeugungen sich fest im Leben der Engländer verankerten und weit über die kurze Zeit seines kometenhaften Aufstiegs hielten. Kalte Bäder etwa und einfaches Essen, harte Betten, der Aufenthalt in gesunder eisiger Luft, Schlafen bei weit geöffneten Fenstern und — nicht zu vergessen — die unerschütterliche Abscheu vor Masturbation.
    Als sich die Menschen allmählich an den Gedanken gewöhnten, dass es nichts schadete, wenn sie sich von Zeit zu Zeit nass machten, verkehrten sich liebgewordene Theorien zur persönlichen Hygiene urplötzlich in ihr Gegenteil. Statt dass rosige Haut und offene Poren schlecht für die Gesundheit waren, glaubte man jetzt zunehmend, die Haut sei eine wunderbare Belüftungsanlage: Kohlendioxyd und sonstige Gifte, die man einatmete, würden durch die Haut wieder ausgestoßen. Umgekehrt sammelten sich natürliche Gifte gefährlich im Körper an, wenn die Poren durch Staub und andere uralte Ablagerungen verstopft waren. Man glaubte nun auch, dass schmutzige Leute wegen ihrer verstopften Poren so oft krank waren beziehungsweise starben. Das demonstrierte drastisch ein Arzt an einem Pferd, das, ganz mit Teer angestrichen, rasch schwächer wurde und jämmerlich einging. (Dabei hatte es weniger Probleme mit der Atmung als vielmehr mit der Temperaturregulierung.)
    Dass man sich nur deshalb wusch, um sauber zu sein und gut zu riechen, setzte sich bemerkenswert langsam durch. Als John Wesley, der Begründer des Methodismus, in einer Predigt den Satz »Sauberkeit kommt der Göttlichkeit am nächsten« prägte, meinte er saubere Kleidung, nicht einen sauberen Körper. Zur körperlichen Sauberkeit empfahl er lediglich »häufiges Rasieren und Füßewaschen«. Der junge Student Karl Marx wiederum

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