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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Londoner Schenke ging und fast sofort von der fauligen Luft überwältigt wurde. »Er schrie um Hilfe und fiel sofort nach vorn aufs Gesicht«, berichtete ein Augenzeuge. Ein Kollege, der dem Ersten helfen wollte, wurde ebenfalls ohnmächtig. Zwei weitere Männer, die in die Kammer wollten, konnten wegen des widerwärtigen Gestanks nicht weitergehen, aber es gelang ihnen, die Tür ein wenig zu öffnen und die schlimmsten Gase herauszulassen. Als die Retter die beiden ersten Männer herausholen konnten, war der eine tot und auch dem anderen schließlich nicht mehr zu helfen.
    Weil die Fäkaliensammler saftige Gebühren erhoben, wurden Senkgruben in ärmeren Gegenden selten geleert und flossen häufig über — kein Wunder bei der hohen Auslastung der meisten Gruben im Innenstadtbereich. Viele Londoner Stadtteile waren hoffnungslos überbevölkert. Im schlimmsten Elendsviertel, St. Giles, wo sich Hogarths »Gin Lane«, die Gin-Gasse, befindet, lebten dicht gedrängt 54 000 Menschen in wenigen Straßen. Nach einer Zählung wohnten in einer Gasse elfhundert Personen in siebenundzwanzig Häusern; das heißt mehr als vierzig Menschen in einem Haus. Weiter östlich in Spitalfields fanden Inspektoren dreiundsechzig Menschen in einem Haus, in dem es ganze neun Betten gab, eins für sieben Personen. Ein Wort unbekannter Herkunft kam auf, um solche Viertel zu beschreiben: »Slum«. Charles Dickens war einer der Ersten, der es — in einem Brief im Jahr 1851 — benutzte.
    So viel zusammengeballte Menschheit erzeugte ernorme Mengen Abfall — viel mehr, als man mit dem System von Senkgruben allein bewältigen konnte. Ein städtischer Inspektor notierte, dass er zwei Häuser in St. Giles besucht habe, in denen die Keller fast einen Meter hoch mit menschlichen Exkrementen und Unrat standen und im Hof draußen eine fünfzehn Zentimeter hohe Schicht. Damit die Bewohner durch den Hof gehen konnten, hatten sie Ziegel als Trittsteine ausgelegt.
    Eine Untersuchung der ärmeren Stadtteile in Leeds in den 1830er Jahren stellte fest, dass viele Straßen in »Kehricht und Abwässern schwammen« und eine, in der 176 Familien wohnten, seit fünfzehn Jahren nicht gereinigt worden war. In Liverpool lebte bis zu einem Sechstel der Stadtbevölkerung in dunklen Kellern, in die nur allzu leicht Abwässer einsickerten. Und menschliche Ausscheidungen waren natürlich nur ein kleiner Teil der gewaltigen Mengen an Unrat, die in den dicht bewohnten und sich rasch industrialisierenden Städten anfielen.
    In London nahm die Themse alles auf, was unerwünscht war: für den Verzehr ungeeignet gewordenes Fleisch, Schlachtabfälle, tote Katzen und Hunde, Essensreste, Industrieabfälle, menschliche Exkremente — alles, was das Herz begehrte. Allein die Tiere, die Tag für Tag zum Smithfield Market getrieben wurden, um in Beefsteaks und Lammkoteletts verwandelt zu werden, hinterließen auf dem Weg dorthin im Jahr 40 000 Tonnen Mist. Der kam natürlich noch zu dem ganzen Kot von Hunden, Pferden, Gänsen, Enten, Hühnern und überall herumwühlenden Schweinen hinzu, die als Haustiere gehalten wurden. Leimsieder, Gerber, Färber, Talgkerzenzieher — auch aus allen möglichen chemischen Betrieben trugen Abfallprodukte zu den täglichen Drecklawinen bei, und die landeten letztlich in der Themse, wo man immer hoffte, dass die Ebbe sie ins Meer hinaustragen würde. Aber die Gezeiten strömen in beide Richtungen, und das Wasser, das bei Ebbe Unrat mit ins Meer hinausnahm, brachte bei Flut auch eine Menge davon wieder mit zurück. Der Fluss war ein ewiger »Strom flüssigen Dungs«, meinte ein Beobachter, und Tobias Smollett sagte in Humphry Clinkers Reise, dass »die menschlichen Exkremente noch der am wenigsten üble Teil« seien, denn im Fluss schwammen »alle Färbemittel und giftigen Substanzen, die in Werkstätten und Manufakturen benutzt wurden, angereichert mit den verwesenden Kadavern von Tieren und Menschen, und vermischt mit den Ausschwemmungen aller Waschtröge, Hundehütten und allgemeiner Kloaken«. Die Themse wurde so giftig, dass aus einem beim Tunnelgraben bei Rotherhite entstandenen Leck als Erstes nicht Flusswasser, sondern konzentrierte Gase strömten. Diese entzündeten sich prompt an den Lampen der Arbeiter, so dass die Männer in die absurd verzweifelte Lage gerieten, nicht nur vor den hereinplatzenden Wassern fortrennen zu müssen, sondern auch vor einem Schwall brennender Luft.
    Die Flüsschen, die in die Themse mündeten, waren oft noch

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