Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
verschmutzter als die Themse selbst. Der Fleet stand 1831 »vor sich stauendem Dreck« praktisch still. Sogar das Wasser in der Serpentine im Hyde Park wurde immer fauliger, so dass die Parkbesucher sich stets auf der Seite des Sees aufhielten, wo der Wind nicht hinwehte. In den 1860er Jahren wurde eine 4,50 Meter tiefe Schicht Fäulnisschlamm herausgeräumt.
Und zu der Misere kam jetzt noch etwas hinzu, das sich unerwartet als Katastrophe erwies: das Wasserklosett. Solche Klos des einen oder anderen Typs gab es schon seit geraumer Zeit. Das allererste wurde von John Harington gebaut, Patensohn von Königin Elisabeth I. Als Harington ihr 1597 seine Erfindung vorführte, war sie höchst entzückt und ließ sie sofort im Richmond Palace einbauen. Doch diese Neuheit war ihrer Zeit so weit voraus, dass fast zweihundert Jahre verstrichen, bevor Joseph Bramah, Möbelschreiner und Schlosser, 1778 ein Patent für die erste moderne Spültoilette beantragte, die sich nur in bescheidenem Maße durchsetzte. Viele andere Modelle folgten — keine dieser frühen Toiletten funktionierte allerdings besonders gut. Manchmal wurde der Inhalt der Kloschüssel nicht weg-, sondern in die andere Richtung gespült, so dass der Raum sogar mit mehr von dem angefüllt war, was der entsetzte Benutzer so hoffnungsfroh hatte loswerden wollen. Bis zur Entwicklung des U-Bogens und des Geruchsverschlusses — nach jeder Spülung fließt die notwendige kleine Wassermenge wieder unten in die Toilette — drangen die Gerüche der Senkgrube und der Kanalisation stets an den Ort ihres Ursprungs zurück und konnten besonders bei Hitze unerträglich werden.
Das Problem wurde von einem der großen, gewiss passendsten Namen in der Menschheitsgeschichte gelöst, Thomas Crapper (1837-1910), der sicher nicht freiwillig so hieß, denn »crap« bedeutet Scheiße. Er kam aus einer armen Familie in Yorkshire in Nordengland und ging angeblich im Alter von elf Jahren zu Fuß nach London. Dort begann er in Chelsea eine Klempnerlehre und erfand die klassische und in Großbritannien auch immer noch bekannte Toilette, bei der man an einer Kette zieht, wodurch ein darüber hängender Wasserbehälter geleert wird: Die Toilette erhielt den schönen Namen Marlboro SilentWaterWaste Preventer (Marlboroer stiller Wasserverschwendungsverhinderer), war sauber, gegen Auslaufen geschützt, frei von Gerüchen und wunderbar zuverlässig. Und Crapper wurde mit der Herstellung reich und ein berühmter Mann.
Der Durchbruch für Spültoiletten kam auf der Weltausstellung 1851, da wurde sie eine der herausragenderen Attraktionen. Über achthunderttausend Menschen warteten geduldig in langen Schlangen, um sie einmal zu erleben — für die meisten etwas vollkommen Neues —, und waren von dem Geräusch und dem Wasserstrudel, der alles wegspülte, so angetan, dass sie sie sofort in ihren eigenen Häusern installieren lassen wollten. Vielleicht hat sich kein teures Konsumgut in der Geschichte so schnell durchgesetzt. Mitte der 1850er Jahre spülten in London schon zweihunderttausend fröhlich vor sich hin.
Problematisch war, dass die Londoner Kanalisation nur dafür eingerichtet war, Regenwasser abzutransportieren, und der stetigen Sintflut von kompakten menschlichen Exkrementen nicht gewachsen war. Die Abwasserkanäle füllten sich mit zähem, klebrigem Schlamm, der nicht abfloss. Sogenannte »flushermen«, Kanalreiniger, wurden angestellt, Verstopfungen zu finden und zu beseitigen. Weitere Berufe, die mit der neuen Abwasserbeseitigung entstanden, waren die der »tosher« und »mudlarks«, die die Dreckjauche in den Kanalisationskanälen und an den stinkenden Flussufern durchwühlten, um verlorene Schmuckstücke oder auch mal einen Silberlöffel zu finden. Alles in allem betrachtet verdienten sie gutes Geld, aber ihr Job war gefährlich. Auch die Luft in der Kanalisation konnte tödlich sein. Weil das Kanalisationssystem ausgedehnt und unüberschaubar und nicht in Plänen aufgezeichnet war, verirrten sich viele und fanden nicht mehr heraus. Gerüchte besagten, dass so mancher von Ratten angegriffen und gefressen wurde.
Mörderische Epidemien waren in der klinisch wenig reinen Welt vor den Antibiotika an der Tagesordnung. Nach einem Ausbruch der Cholera 1832 waren geschätzte 60 000 Briten tot. Es folgte eine verheerende Grippeepidemie in den Jahren 1837/38 und 1848, 1854 und 1867 wieder die Cholera. Zwischen und mitten in diesen Angriffen auf das Leben der Nation kamen tödliche
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