Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
gläubige Menschen konnten einfach nicht akzeptieren, dass die Erde so alt und so willkürlich belebt worden war, wie all die neuen Ideen suggerierten. Ein führender Naturforscher, Philip Henry Gosse, stellte eine gewissermaßen verzweifelte Theorie auf, die er »Prochronismus« nannte und der gemäß Gott die Erde nur so alt aussehen ließ, damit wissbegierige Menschen an interessanteren Dingen herumknobeln konnten. Selbst Fossilien, behauptete Gosse, habe Gott in der einen geschäftigen Schöpfungswoche in die Felsen gesetzt.
Allmählich aber akzeptierten gebildete Menschen, dass die Welt nicht nur älter war, als die Bibel meinte, sondern auch viel komplizierter, unvollkommener und konfuser. Natürlich unterminierte das die ganze Basis, auf der Kirchenmänner wie Mr. Marsham so zuversichtlich wirkten. Für ihre gesellschaftliche Stellung war es der Anfang vom Ende.
Kartoffeln« buddelten sie Artefakte aus, bemerkte ein alarmierter Beobachter. In Norfolk räumten zum tiefen Bedauern späterer Forschergenerationen Mitglieder der neuen Archäologischen Gesellschaft von Norfolk und Norwich (gegründet, kurz bevor Mr. Marsham seine Stelle in unserem Dorf antrat) weit über hundert Grabhügel aus, einen großen Teil der Grabhügel in der Grafschaft überhaupt, ohne dass sie zu den Funden und ihrer Lage irgendwelche Aufzeichnungen machten.
Es ist schon eine schmerzliche Ironie der Geschichte: Als die Briten ihre Vergangenheit entdeckten, zerstörten sie gleichzeitig einen großen Teil davon. Niemand verkörperte den raffgierigen Typ Sammler besser als William Greenwell (1820-1918), Kanonikus der Kathedrale von Durham, dem wir schon als Erfinder von Greenwell's Glory begegnet sind, der (bei denen, die solche Dinge rühmen) hochgerühmten Forellenfliege. Im Verlaufe eines langen Lebens legte Greenwell »durch Schenkungen, Ankäufe und Straftaten«, wie ein Historiker sagte, eine außergewöhnliche Sammlung von Artefakten an. Er grub im Alleingang 443 Hügelgräber in ganz England aus, besser gesagt, er »fraß sich durch«. Sein Sammlerdrang war nicht zu bremsen, aber er verfuhr dabei absolut schludrig. Er hinterließ buchstäblich keine Notizen oder Dokumentationen, weshalb es so gut wie unmöglich ist, zu erkennen, was von wo kommt.
Seine einzige gute Tat ist, dass er einen Mann mit dem prächtigen Namen Augustus Henry Lane Fox Pitt Rivers mit dem Zauber der Archäologie bekannt machte. Pitt Rivers wiederum ist wegen zweier Dinge denkwürdig: als einer der bedeutendsten frühen Archäologen und absolut fieser Typ. Wir sind ihm in diesem Buch schon beiläufig begegnet. Er war das Ungeheuer, das darauf bestand, dass seine Frau kremiert wurde. (»Verdammt noch mal,Weib. Brennen wirst du!«, beliebte er zu scherzen.) Pitt Rivers kam aus einer interessanten Familie, von der wir ebenfalls schon einige Mitglieder kennengelernt haben, insbesondere zwei seiner Großtanten, die echte Kracher waren. Die erste, Penelope, ehelichte den Viscount Ligonier of Clonmell und war, wenn Sie sich erinnern, diejenige, die eine Affäre mit einem italienischen Grafen hatte und dann mit ihrem Lakaien durchbrannte. Die zweite Tante war die junge Frau, die Peter Beckford heiratete, sich aber verhängnisvollerweise in dessen Cousin William, den Erbauer von Fonthill Abbey, verliebte. Beide Damen waren die Töchter von George Pitt, dem ersten Baron Rivers, von dem unser Pitt Rivers beide Hälften seines Namens hat.
Augustus Pitt Rivers war ein großer, einschüchternder Mann, dem berühmt schnell die Sicherungen durchbrannten, Herrscher über ein Anwesen von 27 000 Morgen, das Rushmore hieß und in der Nähe von Salisbury lag. Er war berüchtigt für seinen Geiz. Als seine Frau einmal die Dorfbewohner zu einer Weihnachtsfeier nach Rushmore eingeladen hatte, musste sie bekümmert erleben, dass niemand kam. Sie wusste nicht, dass ihr Gatte von ihrem Vorhaben gehört und die Tore zum Gut mit Vorhängeschlössern hatte schließen lassen.
Er neigte zu übermäßigen, jähen Gewaltausbrüchen. Nachdem er einem seiner Söhne wegen eines nicht bekannten Vergehens das Haus verboten hatte, untersagte er seinen anderen Kindern auch gleich den Kontakt mit ihm. Doch eine Tochter, Alice, hatte Mitleid mit ihrem Bruder, traf ihn an der Grenze des Anwesens und gab ihm Geld. Pitt erfuhr davon, fing sie auf dem Rückweg ab und prügelte sie mit ihrer eigenen Reitgerte windelweich.
Pitts Spezialität, ja, gar eine Art Hobby war es, betagte Pächter
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