Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
nachdenklich. Einen Monat später kam das Buch in den Vereinigten Staaten unter einem anderen Titel heraus: Moby Dick, verkaufte sich aber auch nicht besser. Der Misserfolg war überraschend, denn der Autor, der zweiunddreißig Jahre alte Herman Melville, war mit zwei früheren Geschichten über Abenteuer auf dem Meer, Taipi und Omu, sehr erfolgreich gewesen. Moby Dick schlug während seiner Lebenszeit nie ein. Auch sonst nichts mehr aus Melvilles Feder. Er starb fast vergessen 1891. Sein letztes Buch, Billy Budd, fand erst mehr als dreißig Jahre nach seinem Tod einen Verleger.
Obwohl Mr. Marsham wahrscheinlich weder Moby Dick noch Fossile Lepadidae kannte, spiegelt sich in beiden Büchern ein grundsätzlicher Wandel wider, der schon vor ihrer Publikation die denkende Welt erfasst hatte: der beinahe zwanghafte Drang, jede noch so kleine erkennbare Tatsache festzuhalten und ihr schwarz auf weiß dauerhaft Anerkennung zu verschaffen. Unter Herren mit einem Hang zur Wissenschaft war Feldforschung der allerletzte Schrei. Manche entschieden sich für Geologie und sonstige Naturwissenschaften, andere sammelten Altertümer. Die Abenteuerlustigsten opferten den Komfort von Heim und Herd und oft Jahre ihres Lebens, um entfernte Ecken der Welt zu erkunden. Sie wurden — Wissenschaftler und Forscher.
Ihre Neugierde und Hingabe waren unerschöpflich. Kein Ort war zu entlegen oder zu unwirtlich, kein Ding nicht der Betrachtung wert. Es war die Ära, in der der Pflanzenjäger Robert Fortune als Einheimischer verkleidet durch China reiste und Informationen über Anbau und Verarbeitung von Tee sammelte, als David Livingstone sich den Sambesi hinauf und in die dunkelsten Ecken Afrikas kämpfte, als Abenteuerbotaniker das Innere Nord- und Südamerikas durchkämmten und interessante neue Tiere und Pflanzen suchten und als Charles Darwin, gerade einmal zweiundzwanzig Jahre alt, als Naturforscher zu einer abenteuerlichen Fahrt aufbrach.
Fast alles, dem Darwin während der fünf Jahre seiner Reise begegnete, war ihm der Aufmerksamkeit wert. Er notierte so viele Fakten und brachte eine solche Fülle an tierischen, pflanzlichen, geologischen und fossilen Fundstücken mit, dass er schon eineinhalb Jahrzehnte brauchte, um nur durch die Rankenfußkrebse zu kommen. Neben vielem anderen fand er Hunderte neuer Pflanzenarten, machte viele wichtige Fossilien- und geologische Entdeckungen, entwickelte eine weithin beachtete Hypothese zur Bildung von Korallenatollen und sammelte Materialien und Erkenntnisse, die ihn zu einer revolutionären Theorie des Lebens führten — nicht schlecht für einen jungen Mann, der, wenn sein Vater sich durchgesetzt hätte, Landpfarrer geworden wäre wie unser Mr. Marsham. (Eine Aussicht, die Darwin fürchterlich fand.)
Eine der Ironien an der Fahrt der Beagle war, dass Kapitän Robert FitzRoy den jungen Darwin angeheuert hatte, weil er theologisch gebildet war und Beweise für eine biblische Interpretation der Geschichte finden sollte. Als Josiah Wedgwood auf Robert Darwin eingeredet hatte, er möge Charles gehen lassen, hatte er sich große Mühe mit dem Argument gegeben, dass »die Beschäftigung mit Naturgeschichte [...] für einen Pfarrer sehr angemessen« sei. Letztlich war es natürlich so, dass Darwin, je mehr er von der Welt sah, desto mehr zu dem Schluss kam, dass Geschichte und Entwicklung der Erde weit älter und komplizierter waren, als man allgemein annahm. Schon in seiner Theorie über die Korallenatolle ging es um eine Zeitspanne, die weit über die sieben Schöpfungstage in der Bibel hinausging. Was den frommen, launischen Kapitän FitzRoy zutiefst erboste.
Schlussendlich entwickelte Darwin natürlich eine Theorie die des Überlebens der Bestangepassten, wie wir sie gemeinhin kennen; die der natürlichen Selektion, wie er sie nannte —, die die wunderbare Komplexität aller Lebewesen erklärte, ohne dass man überhaupt eine Gottheit dazu erfinden musste. 1842, sechs Jahre nach dem Ende seiner Reise, verfasste er eine 230-Seiten-Zusammenfassung, in der er die grundsätzlichen Bestandteile der Theorie umriss. Dann machte er etwas Erstaunliches: Er schloss den Text in eine Schublade und ließ ihn sechzehn Jahre lang darin liegen. Das Thema war ihm zu heiß für eine öffentliche Debatte.
Dabei waren schon lange vor Darwin Leute immer wieder auf Dinge gestoßen, die nicht zu orthodoxen Glaubensvorstellungen passten. Eines der ersten Male passierte es ein paar Kilometer von unserm alten Pfarrhaus
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