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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Verwaltungsgebäude — überhaupt keine Anzeichen einer gesellschaftlichen Organisiertheit. Wer bauen wollte, errichtete vier neue Wände, wenn nötig, an schon existierenden Wänden. Es sieht ganz so aus, als hätten die Menschen in fatal Höyük noch nicht herausgefunden, wie kollektives Leben genau funktioniert. Was ja durchaus sein kann. Auf jeden Fall gemahnt es uns daran, dass die Funktion eines Gemeinwesens und der dazugehörigen Gebäude nicht von vornherein festgelegt ist. Für uns mag es normal sein, dass Türen auf ebener Erde und Häuser durch Straßen und Gassen voneinander getrennt sind, doch die Menschen in Çatal Höyük sahen das offenkundig anders.
    Es führten im Übrigen auch keine Straßen und Wege zu dem großen Dorf oder von ihm weg. Es war in einem Überschwemmungsgebiet erbaut, also auf morastigem Boden. Meilenweit darum herum gab es unendlich viel Platz, und doch drängten sich die Menschen dicht aneinander, als würden sie von allen Seiten von hereinströmenden Fluten bedroht. Absolut nichts gibt einen Hinweis darauf, warum sie dort zu Tausenden zusammenhockten, obwohl sie auch in der Umgebung hätten siedeln können. Denn ihre Felder und Viehweiden lagen mindestens zehn Kilometer entfernt. Das Land um das Dorf herum war kein gutes Weideland, Obst- und Nussbäume wuchsen dort nicht, genauso wenig gab es andere Nahrungsquellen. Es mangelte auch an Holz zum Heizen. Mit einem Wort: Es gab keinerlei sichtbaren Grund für Menschen, sich dort niederzulassen, und trotzdem taten sie es in großer Zahl.
    Dabei war fatal Höyük nicht primitiv, sondern für seine Zeit auffallend entwickelt und zivilisiert. Es gab Weber, Korbmacher, Zimmerleute, Schreiner, Perlenmacher, Bogenmacher und viele andere Handwerker mit spezialisierten Fähigkeiten. Auch die Kunstwerke hatten ein beachtliches Niveau, und es gab nicht nur Stoffe, sondern eine Vielzahl stilistisch wunderschönerWebarten. Die Bewohner konnten sogar Streifen weben — was bekanntermaßen nicht leicht ist. Außerdem legten sie Wert auf gutes Aussehen. Ist es nicht verblüffend, dass die Menschen gestreifte Stoffe ersannen, bevor sie an Türen und Fenster dachten?
    All das zeigt nur noch einmal, wie wenig wir über die Lebensweise und Gewohnheiten der Menschen wissen, die in der Steinzeit gelebt haben; ja, wie wenig wir sie auch nur erraten können. Dessen eingedenk gehen wir nun endlich ins Haus und sehen dort, wie wenig wir auch über das Haus selbst wissen.

    Aber auch wenn man Fleisch in Hülle und Fülle gehabt hätte, wäre sein Verzehr die meiste Zeit verboten gewesen. Im Mittelalter mussten die Leute drei Fischtage in der Woche einlegen, dazu kamen vierzig Tage Fastenzeit und viele andere religiöse Feiertage, an denen der Verzehr von Vierbeinern verboten war. I )ie Summe der Tage mit Essbeschränkungen änderte sich über die Jahre, doch in den schlimmsten Zeiten waren fast die Hälfte im Jahr »schmale« Tage. Im Übrigen gab es kaum einen Fisch oder sonst ein schwimmendes Viech, das nicht verzehrt wurde. In den Küchenbüchern des Bischofs von Hereford steht, dass man in seinem Haushalt Hering, Kabeljau, Schellfisch, Lachs, Hecht, Brassen, Makrelen, Leng, Seehecht, Plötzen, Aale, Neunaugen, Stockfisch, Schleie, Forellen, Elritzen, Gründlinge, Knurrhahn und viele andere zubereitete — mehr als zwei Dutzend Arten insgesamt. Ebenfalls häufig auf dem Speiseplan standen Barben, Hasel und sogar Tümmler. Bis in die Zeiten Heinrich VIII. drohte — zumindest theoretisch — die Todesstrafe auf Nichtbeachtung der Fischtage. Nach dem Bruch mit Rom wurden die Fischtage abgeschafft, doch von Elisabeth I. zur Unterstützung der englischen Fischereiflotte wieder eingeführt. Auch die Kirche war erpicht darauf, die Fischtage beizubehalten, weniger aus irgendeiner religiösen Überzeugung heraus als vielmehr, weil sie ein einträgliches Nebengeschäft daraus machte, Zuwiderhandelnden Ablässe zu verscherbeln.
    Schlafgewohnheiten waren sehr informell. Heutzutage »machen wir ein Bett«, weil es im Mittelalter hauptsächlich das war: Man rollte eine Art dünne Matratze aus oder häufte einen Strohhaufen auf, suchte sich eine Decke oder sonst etwas zum Darüberlegen und machte es sich so bequem es eben ging. Wie man schlief, wurde offenbar sehr lange sehr locker gehandhabt. In den C anterbury Tales wird das Abenteuer der Müllersfrau erzählt, die hei sich zu Hause in ein falsches Bett steigt, was ihr wohl kaum passiert wäre, wenn sie jede Nacht am

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