Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
zwanzigste Jahrhundert, mit den Worten David Cannadines, eine Zeit »zunehmend düsterer Aussichten«.
Die meisten lebten ständig im Zustand latenter Krise. Wenn es eng wurde — wenn man ein Dach erneuern musste oder eine Steuerforderung auf der Matte lag —, konnte man die Katastrophe eigentlich nur abwenden, indem man Erbstücke verkaufte. Gemälde, Tapisserien, Schmuck, Bücher, Porzellan, das Tafelsilber, seltene Briefmarken, alles, was einen halbwegs vernünftigen Preis erzielte, wanderte aus englischen Landsitzen in Museen oder ins Ausland. Damals kaufte zum Beispiel Henry Clay Folger jeden Ersten Folioband von Shakespeare auf, dessen er habhaft werden konnte, erwarb George Washington Vanderbilt all die Kostbarkeiten, mit denen er die 250 Zimmer seiner Villa Biltmore vollstellte, schleppten Männer wie Andrew Mellon, Henry Clay Frick und J.P. Morgan Wagenladungen voller Alter Meister ab und erstand William Randolph Hearst alles, was noch rausmusste.
Kaum ein großer englischer Familiensitz in Großbritannien kam ungerupft davon. Die Howards auf Howard Castle trennten sich von einhundertzehn Alten Meistern und mehr als tausend seltenen Büchern. In Blenheim Palace verkauften die Herzöge von Marlborough Gemälde stapelweise, darunter achtzehn Werke von Rubens und mehr als ein Dutzend van Dycks, und entdeckten dann, wenn auch reichlich spät, dass es finanziell attraktiver war, begüterte Amerikanerinnen zu heiraten. Selbst der fabelhaft reiche Duke of Hamilton verkaufte 1882 für fast 400 000 Pfund Glitzerkram und ein paar Jahre später noch einmal Zeugs für 250 000 Pfund. Die großen Auktionshäuser in London wurden die reinsten Pfandhäuser.
Wenn die Besitzer alles Wertvolle von Wand und Boden verkauft hatten, verkauften sie manchmal Wand und Boden selbst. Ein Zimmer mit allen Einrichtungen wurde aus Wingerworth Hall in Derbyshire demontiert und im Kunstmuseum von St. Louis wieder aufgebaut. Eine Treppe von Grinling Gibbons aus Cassiobury Park in Hertfordshire stand fortan im Metropolitan Museum of Art in New York. Manchmal wurden ganze Häuser verkauft wie zum Beispiel Agecroft Hall, ein hübsches Tudor-Landhaus in Lancashire, das in nummerierte Stücke zerlegt, in Kisten gepackt und nach Richmond in Virginia verschifft wurde, wo es erneut zusammengesetzt wurde und heute noch stolz steht.
Sehr selten einmal aber ergab sich aus all dem Ungemach etwas Gutes. Die Erben von Sir Edmund Antrobus, die ihr Gut (inklusive Stonehenge) nicht halten konnten, brachten es 1915 auf den Markt. Ein Geschäftsmann aus der Gegend, der Rennpferdezüchter Sir Cecil Chubb, kaufte Stonehenge für 6600 Pfund rund 300 000 Pfund in heutigem Geld, also keine Kleinigkeit und schenkte es großzügig der Nation, womit es endlich nicht mehr bedroht war.
Ein solch glücklicher Ausgang war freilich selten. Für Hunderte von Landvillen gab es keine Rettung, und ihr trauriges Los war Verfall und schließlich Abbruch. Fast immer war das bedauerlich und manchmal skandalös. Streatlam Castle, einst eines der feinsten Häuser in der Grafschaft Durham, wurde der Heimatschutztruppe zur Verfügung gestellt, die es wahrhaftigen Gotts zum Übungsschießen benutzte! Aston Clinton, ein ungeheuer prächtiges, zauberhaftes Haus aus dem neunzehnten Jahrhundert, das einmal den Rothschilds gehört hatte, wurde von der Grafschaftsverwaltung von Buckinghamshire aufgekauft und abgerissen, die dort ein seelenloses Ausbildungszentrum hinsetzte. So wenig galten Landsitze noch, dass in Lincolnshire eine Filmgesellschaft angeblich einen solchen nur zu dem Zweck kaufen konnte, um ihn für die entscheidende Szene des Films abzufackeln.
Nirgendwo waren die Häuser sicher. Selbst Chiswick House, unbestritten ein herausragendes Gebäude, ging beinahe verloren. Eine Zeitlang war es eine Irrenanstalt, doch in den 1950er Jahren stand es leer und zum Abbruch frei. Zum Glück siegte dann aber doch die Vernunft, und heute ist es in sicherer Obhut der English Heritage, einer öffentlichen Körperschaft. Der National Trust rettete im Verlauf eines Jahrhunderts etwa zweihundert andere Häuser, und ein paar überlebten selbstständig, weil man sie zu Touristenattraktionen machte.
Viele andere große Landsitze fanden ein neues Leben als Schulen, Kliniken oder sonstige Institutionen. Sir William Harcourts Nuneham Park diente einen Großteil des zwanzigsten Jahrhunderts als Übungsgelände der Königlichen Luftwaffe. (Jetzt ist es ein religiöses Einkehrzentrum.)
Aber, wie
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