Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
Manche wurden so riesig, dass man Bänke hineinbaute und sich in den Kamin setzte, denn das war der einzige Platz im Haus, an dem man es schön mollig hatte.
Doch wie groß auch der Verlust an Wärme und Gemütlichkeit war, der Gewinn an Raum erwies sich als unwiderstehlich. Die Entwicklung des Kamins war ein enormer Fortschritt. Plötzlich war es möglich, Bretter über die Balken unter dem Dach zu legen und oben eine ganz neue Welt zu erschaffen.
II.
Der Ausbau des Hauses nach oben änderte alles. Als begüterte Hausbesitzer erst einmal entdeckten, wie befriedigend es war, Raum für sich selbst zu haben, bauten sie dort immer mehr Zimmer. Der erste Schritt war ein weitläufiger neuer Raum, ein großer Saal, in dem der Herr und seine Familie all dem frönten, dem sie bis dato unten in der hall gefrönt hatten — essen, schlafen, herumhängen, spielen —, nur nicht mit so vielen anderen Menschen um sich herum. In die große Halle unten ging die Familie nur noch zu Banketten und anderen besonderen Ereignissen. Die Diener gehörten auch bald nicht mehr zur Familie, sondern wurden ... na ja, Diener.
Für sich persönlich Raum zu haben kommt uns heute vollkommen normal vor, doch damals war es eine Offenbarung. Die Leute konnten gar nicht genug davon kriegen. Bald reichte es nicht mehr nur, getrennt von seinen Untergebenen zu leben, sondern auch von Seinesgleichen.
Als den Häusern sozusagen Flügel wuchsen und sie sich ausbreiteten und die häuslichen Arrangements vielfältiger wurden, schuf oder übernahm man für all die neuen Zimmertypen natürlich entsprechende Worte: Studierstube, Bettkammer, Abortkammer,Wandschrank, Stube, Plauderstübchen und Bibliothek. Bald kamen dazu: Empore oder Galerie, großer Saal oder große Galerie, Audienzzimmer, Ankleidekammer, Salon, Gemach, Wohnung und Suite. »Was für ein Unterschied zu dem alten Brauch, dass der ganze Haushalt Tag und Nacht in der großen Halle lebte!«, schrieb Gotch in einem seltenen Moment überschäumender Lebensfreude. Ein neuer Raum, den er nicht erwähnt, war übrigens das Boudoir, wörtlich ein Raum, »in dem man schmollt« (vom Französischen bouder, schmollen), der von Anfang an mit Kabalen und Liebe assoziiert wurde.
Selbst mit zunehmender relativ privater Sphäre blieb das Leben viel gemeinschaftlicher und weniger diskret als heute. Toiletten hatten mehrere Sitze, damit man dort auch gepflegt miteinander plaudern konnte, und auf Bildern sieht man ganz normal Paare munter zwanglos im Bett oder im Bad, während Diener sie bedienen und Freunde in netter Runde danebensitzen, Karten spielen und schwatzen, alles bequem in Sicht- und Hörweite.
Der Gebrauch der neuen Zimmer war lange Zeit nicht so strikt getrennt wie heute. Alle waren eigentlich auch Wohnräume. In italienischen Bauplänen aus der Renaissance und späterer Zeit wurden Räume nicht nach Typen benannt, denn sie dienten keinen festgelegten Zwecken. Die Leute bewegten sich im Haus, suchten Schatten oder Sonne und nahmen gegebenenfalls das ein oder andere Möbel mit. Als die Zimmer dann ein Etikett verpasst bekamen, war die Rede von »mattina« (zum morgendlichen) oder »sera« (zum nachmittäglichen und abendlichen Gebrauch).Weitgehend ähnlich unangestrengt ging es in England zu. Ein Schlafgemach wurde nicht nur zum Schlafen benutzt, sondern auch für Mahlzeiten, die man für sich einnehmen wollte, oder um besondere Gäste darin zu empfangen. Ja, ins Schlafgemach zog man sich bald so oft und gern zurück, dass man darüber hinaus noch privatere Zimmer schaffen musste.
Die kleinen Räume, die von der Schlafkammer abgingen, wurden für alle Arten persönlicher Zwecke benutzt, vom Stuhlgang bis zum Rendezvous, und die jeweiligen Worte dafür haben oft eine kuriose Wandlung hinter sich. Closet hatte, wie Mark Girouard uns erzählt, »eine lange, ehrenwerte Geschichte, bevor es schließlich als großer Schrank oder als Zimmer für das Spülbecken und die Schrubber der Küchenmagd in Schmach und Schande fiel«. Anfänglich war es mehr eine Studierstube als eine Kammer zum Aufbewahren von Sachen, und cabinet, ursprünglich eine Verkleinerungsform von cabin (Kammer), bedeutete Mitte des sechzehnten Jahrhunderts noch eine Schatulle, in der man Wertgegenstände verwahrte. Schon bald danach — kaum ein Jahrzehnt später — bedeutete es den ganzen Raum drumherum. Die Franzosen verfeinerten den Begriff (wie so oft) in eine Vielfalt von Zimmertypen, so dass ein großes französisches Schloss bis
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