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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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(die Vorratskammern mitgezählt), von denen fast genau die Hälfte Haushaltsräume seien, also Räume, in denen Diener und Dienerinnen arbeiteten oder schliefen. Wenn man Ställe und andere Nebengebäude einbezog, war ein solches Anwesen wirklich überwiegend in der Hand der Dienerschaft.
    Die Arbeitsteilung im Dienstbotenreich konnte enorm kompliziert sein. Kerr unterteilte die Haushaltsräume in neun Kategorien: Küche, Back- und Braustube, obere Dienerkammer, untere Dienerkammer, Keller und Außentoiletten, Waschhaus, die Zimmer für Butler, Haushälterin und Kindermädchen, »zusätzliche Räume« und die Dienstbotenflure und -durchgänge. In anderen Häusern unterteilte man anders. Florence Court in Irland hatte mehr als sechzig Zuständigkeitsbereiche, während Eaton Hall, der Sitz des Herzogs von Westminster in Cheshire, mit sechzehn auskam, eine recht bescheidene Anzahl, wenn man bedenkt, dass es mehr als dreihundert Diener und Dienerinnen gab. Es kam eben immer auf die organisatorischen Vorlieben von Herr und Herrin, Butler und Haushälterin an.
    Ein großes Landhaus hatte meist eine Waffenkammer, eine Lampenkammer, eine Destillierkammer, eine Backstube, eine Anrichte- oder Geschirrkammer, einen Lagerraum für Fisch, für Kohlen, Wild, eine Backstube, eine Braukammer, eine Messerkammer, eine Besenkammer, eine Schuhkammer und mindestens ein Dutzend mehr Räume und Kammern. Lanhydrock House in Cornwall hatte einen Raum, in dem man sich ausschließlich der Beschäftigung mit Bettpfannen hingab, während in einem Landhaus in Wales, berichtet Juliet Gardiner, ein Raum gänzlich dem Bügeln von Zeitungen vorbehalten war. Die nobelsten und ältesten Häuser hatten manchmal auch eine Saucenkammer, eine Gewürzkammer, Geflügelkammer, eine Spirituosenkammer und weitere noch exotischerer Provenienz, wie zum Beispiel eine Wasserkrugkammer, eine Kerzenkammer, eine Pferdefutterkammer, eine Linnenkammer und vieles mehr.
    Außer in den bescheidensten Häusern warfen die Herrschaften nur selten einen Blick in die Küche oder überhaupt die Bereiche der Dienerschaft. Sie »wussten nur aus zweiter Hand, unter welchen Bedingungen ihre Bediensteten lebten«, meint Juliet Gardiner. Es war keineswegs unüblich, dass ein Haushaltsvorstand von seinen Dienern und Dienerinnen lediglich die Namen wusste und sonst nichts. Manch einer hätte sich in den verborgeneren Winkeln der Räume, in denen diese arbeiteten, auch gar nicht zurechtgefunden.
    Überall galten strikte Hierarchien, und diese mussten von den Gästen des Hauses, der Familie sowie der Dienerschaft peinlich genau beachtet werden. Ein strenges Protokoll diktierte, welche Teile des Hauses man — je nachdem, ob man Gast oder enger Verwandter, Gouvernante oder Hauslehrer, Kind oder Erwachsener, Aristokrat oder Bürgerlicher, Mann oder Frau, Butler oder Lakai war — jeweils betreten, welche Flure und Treppen benutzen, welche Türen man öffnen durfte. Ja, es war alles derart starren Regeln unterworfen, bemerkt Mark Girouard, dass in einem Herrensitz der Nachmittagstee elf verschiedenen Kasten von Menschen an elf verschiedenen Orten serviert wurde. In ihrer Geschichte der Dienerschaft in Landhäusern schreibt Pamela Sambrook, dass zwei Schwestern, die im selben Haus arbeiteten, die eine als Haus-, die andere als Kindermädchen, nicht miteinander reden, ja, nicht einmal zeigen durften, dass sie sich kannten, weil sie in der Rangordnung der Bediensteten an unterschiedlichen Stellen standen.
    Diener und Dienerinnen hatten wenig Zeit zur persönlichen Körperpflege, wurden aber ständig beschuldigt, schmutzig zu sein. Das war entschieden ungerecht, denn der typische Arbeitstag eines Dienstboten ging von halb sieben morgens bis zehn Uhr abends und noch später, falls eine Festivität der einen oder anderen Art stattfand. Die Autorin eines Handbuchs zur Haushaltsführung behauptete krokodilstränenreich, sie würde ihren Dienern ja liebend gern schöne Zimmer geben, doch leider herrsche dort immer gleich die schlimmste Unordnung. Weshalb sie zu dem Schluss gekommen sei: »Je schlichter das Zimmer eines Dieners, desto besser.« Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekamen Diener einen halbenTag pro Woche und einen ganzen pro Monat frei — nicht gerade generös, wenn man bedenkt, dass sie in dem bisschen Zeit eigene Einkäufe erledigen oder zum Friseur gehen mussten, vielleicht auch mal die Familie besuchen, sich nach einem Gatten oder einer Ehefrau umsehen, ausruhen oder ein paar Stunden

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