Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
sollen, aber ich habe dir geglaubt.« Dann versichert er seiner Mutter (nun angemessen männlich): »Jetzt habe ich keine Angst mehr, Mutter«, und das Leben geht weiter — nur für das Kindermädchen nicht, das vermutlich nie wieder eine gute Stellung findet.
Entlassen zu werden war besonders für Frauen die Katastrophe, vor der sie am meisten Angst hatten, denn es bedeutete den Verlust des Broterwerbs, den Verlust des Dachs über dem Kopf, den Verlust von Zukunftsperspektiven, den Verlust von allem. Mrs. Beeton allerdings warnte ihre Leserinnen mit Vorliebe davor, sich von irgendwelchen Gefühlen, christlicher Nächstenliebe oder sonstigen Mitleidsregungen verleiten zu lassen, einer entlassenen Angestellten ein falsches oder irreführendes Zeugnis auszustellen. »Beim Schreiben einer Referenz muss die Herrin sich selbstredend von dem Gefühl strikter Gerechtigkeit leiten lassen. Es gehört sich nicht, wenn eine Dame einer anderen eine Dienerin oder einen Diener empfiehlt, die oder den sie selbst nicht behalten will«, schrieb sie, und mehr Gedanken musste man auch nicht daran verschwenden.
fleißig, pflichtbewusst und stets sorgsam war, sondern auch so weit wie möglich unsichtbar. In ihrer Geschichte der britischen Gärten erwähnt Jenny Uglow einen Landsitz, auf dem, wenn die Familie anwesend war, die Gärtner gehalten waren, einen Umweg von eineinhalb Kilometern zu machen, wenn sie ihre Schubkarren leeren mussten. Die Herrschaften wünschten einen ungestörten Ausblick. In einem Haus in Suffolk mussten die Diener mich mit dem Gesicht an die Wand drücken, wenn Familienmitglieder vorbeigingen.
Man baute auch die Häuser zunehmend so, dass das Personal außer Sichtweite und bis auf die absolut notwendigen Ausnahmefälle getrennt von der Familie war. Der architektonische I Feinsinn, der diese Trennung recht beförderte, war die Erfindung der Hintertreppe. »Der Adel konnte nun die Treppe hinaufgehen, ohne seinen Fäkalien der letzten Nacht zu begegnen, die die T1 Treppe herunterkamen«, brachte Mark Girouard die Sache auf den Punkt. Und Robert Kerr meinte in dem erwähnten Haus des Gentleman, dass »beide Seiten Privatheit sehr geschätzt« hätten. Wir allerdings gehen sicher nicht fehl in der Annahme, dass Mr. Kerr mit den Gefühlen derjenigen, die die Nachttöpfe füllten, vertrauter war als mit denen derjenigen, die sie leeren mussten.
In den höheren Sphären der gesamtgesellschaftlichen Hierarchie mussten sich nicht nur die Diener, sondern auch die Gäste und ständigen Mitglieder des Haushalts so unsichtbar machen wie möglich. Wenn Königin Victoria im Park von Oshorne House auf der Isle ofWight ihren Nachmittagsspaziergang machte, durfte ihr niemand, einerlei wie hochmögend, begegnen. Man konnte also immer genau erkennen, wo sie herlief, weil man sah, wie Leute in panischer Hast vor ihr flohen. Einmal befand sich Schatzkanzler Sir William Harcourt auf offenem Gelände, und zum Verstecken gab es nichts als ein winziges Gestrüpp. Da Harcourt 1,93 Meter groß und sehr stattlich war, konnte es nicht mehr als eine symbolische Geste sein, wenn er versuchte, sich unsichtbar zu machen. Aber Ihre Majestät vollbrachte das Wunder: Sie sah ihn nicht; sie war eine Meisterin darin, nicht hinzusehen. Waren auf den Huren des Hauses Begegnungen unvermeidlich, starrte sie unbeirrt geradeaus oder brachte jeden, der ihr entgegenkam, mit herrscherlich blitzendem Blick zum Verschwinden. Nur das ihr allervertrauteste Dienstpersonal durfte sie direkt anschauen.
»Wahrhaftig, die Teilung in Klassen ist äußerst gefährlich und verwerflich und vom Naturgesetz niemals so vorgesehen, und die Königin tut allzeit das Ihre, um es zu ändern«, schrieb sie dennoch einmal und übersah geflissentlich, dass dieses noble Prinzip in ihrer eigenen königlichen Gegenwart ins Gegenteil verkehrt wurde.
Der erste Diener im Haushalt war der Butler. Sein weibliches Gegenstück war die Haushälterin. Nach ihnen kamen der Küchenmeister und der Koch und eine Reihe Dienstmädchen, Zimmermädchen, Kammerdiener, Lakaien und Laufburschen. Lakaien waren ursprünglich Fußsoldaten oder Männer, die zu Fuß neben der Sänfte oder der Kutsche ihrer Herrschaften hertrabten, herrlich anzuschauen waren und unterwegs alle notwendigen Dienste leisteten. Gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts wurden sie wertgeschätzt wie Rennpferde, und manchmal ließen ihre Herren sie auch um hohe Einsätze gegeneinander antreten und rennen. Lakaien erledigten meist
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