Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
Wasserkochen erforderte enorme Kraft und Energie. Ein voller Kessel konnte siebenundzwanzig Kilo wiegen.
Möbel, Kamine, Gardinen, Spiegel, Fenster, Marmor, Messing, Glas und Silber — alles musste regelmäßig gesäubert und gewienert werden, normalerweise jeweils mit der haushaltseigenen, hausgemachten Politur. Damit Stahlmesser und -gabeln funkelten, reichte es nicht aus, sie zu spülen und zu polieren, sie mussten auch unter Aufbietung aller Kräfte geschärft werden. Dazu wurden sie an einem Lederriemen abgezogen, auf den man eine Paste aus gemahlenem Korund, Kreide, Ziegelmehl, Polierrot und Hirschhorngeist, vermischt mit einer großzügigen Portion Schweineschmalz, schmierte. Bevor Messer weggelegt wurden, wurden sie gegen das Rosten mit Hammelfett eingerieben und in Packpapier eingewickelt — und später mussten sie dann natürlich wieder ausgewickelt, gespült und abgetrocknet werden. Messerreinigen war ein derart zähes, kräftezehrendes Unterfangen, dass dafür sogar das allererste arbeitssparende Gerät eingesetzt wurde, das es gab — im Prinzip eine Kiste mit einer Kurbel, mit der man eine kräftige Bürste drehen konnte. »Des Dieners Freund« hieß das Ding. Und war es auch.
Es ging im Übrigen nicht nur darum, die Arbeit überhaupt zu verrichten, sondern darum, sie entsprechend den peinlich genauen Vorgaben und hohen Ansprüchen derjenigen zu verrichten, die diese Arbeit eben nicht ausführen mussten. In Manderston, einem herrschaftlichen Anwesen in Schottland, musste eine Gruppe von Arbeitern zweimal im Jahr drei volle Tage lang einen großen Treppenaufgang auseinandernehmen, polieren und wieder zusammensetzen. Extraarbeiten waren oft sowohl erniedrigend als auch sinnlos. Die Historikerin Elisabeth Donaghy Garrett erzählt von einem Haus, in dem der Butler und seine Untergebenen übrig gebliebene Stücke Treppenläufer um den Esstisch legen mussten, bevor sie ihn deckten — damit sie nicht auf den guten Teppich traten. Ein Hausmädchen beschwerte sich, dass ihre Herrschaften sie zwangen, ihre Arbeitskleidung aus- und etwas Präsentableres anzuziehen, wenn sie sie auf die Straße schickten, damit sie ihnen eine Droschke herbeiwinkte.
Die Vorratshaltung für den Haushalt machte gleichfalls viel Arbeit. Oft wurden Lebensmittel nur zwei- oder dreimal im Jahr geliefert und mussten in entsprechend großen Mengen gelagert werden. Tee wurde in Kisten gekauft, Mehl in Tonnen, Zucker kam in großen Kegeln, die man Zuckerhüte nannte. Diener wurden wahre Experten darin, Essbares für längere Zeit zu konservieren und aufzubewahren.
Vielerlei Dinge mussten gar selbst hergestellt werden. Wollte man einen Kragen stärken oder Schuhe putzen, blieb einem nichts anderes übrig, als Schuhcreme oder Wäschestärke selbst anzurühren. Fertige Schuhcreme gab es erst in den 1890er Jahren zu kaufen. Davor musste man aus allerlei Ingredienzen einen Vorrat an Creme kochen, die natürlich auch auf die Töpfe, Rührlöffel, Hände und alles andere abfärbte, was mit ihr in Kontakt kam. Stärke wurde mühsam aus Reis oder Kartoffeln gemacht. Selbst die Bettwäsche kam nicht in fertigem Zustand. Man kaufte ganze Stoffballen und schneiderte daraus Tischdecken, Laken, Hemden, Handtücher und so weiter.
Die meisten großen Haushalte hatten eine Kammer zum Schnapsbrennen, in der auch die verschiedensten anderen Dinge angerührt wurden: Tinte, Unkrautvertilgungsmittel, Seife, Zahnpasta, Kerzen, Bohnerwachs, Essig und Salzlake zum Pökeln, I Feuchtigkeitscreme und sonstige Kosmetika, Rattengift, Flohpuder, Shampoo, Medizin, Lösungen zum Entfernen von Flecken auf Marmor und Glanz auf Hosen, zum Stärken von Kragen, sogar zum Entfernen von Sommersprossen. (Eine Tinktur aus Borax, Zitronensaft und Zucker wirkte angeblich Wunder.) Für diese kostbaren Kreationen brauchte man alle möglichen Zutaten — Bienenwachs, Ochsengalle, Alaun, Essig, Terpentin und viele noch weit verblüffendere Dinge mehr. Der Autor eines Handbuchs aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts empfahl, Gemälde einmal jährlich mit einer Mischung aus »Salz und abgestandenem Urin« zu reinigen, doch wessen Urin man nehmen und wie abgestanden er sein sollte, war der Fantasie des Lesers überlassen.
Viele Häuser hatten so viele Speisekammern, Lager- und Arbeitsräume, dass der größere Teil des Hauses sogar den Bediensteten vorbehalten war. In Das Haus des Gentleman bemerkte Robert Kerr im Jahre 1864, dass das normale Herrenhaus zweihundert Zimmer habe
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