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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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kostbarer Freiheit sonst wie genießen wollten.
    Das Schlimmste an dem Job war aber vielleicht, dass man mit Menschen zu tun hatte und von ihnen abhängig war, die absolut auf einen herabsahen. Virginia Woolfs Tagebücher sind beinahe zwanghaft voll von ihrer Dienerschaft und wie anstrengend es sei, die Geduld mit ihnen zu bewahren. Von einer Dienerin schreibt sie: »Sie ist im Naturzustand: ungeschult, ungebildet [...] so dass man dabei zusieht, wie sich ein menschlicher Verstand unbekleidet windet.« Als gesellschaftliche Klasse seien sie so irritierend wie »Küchenfliegen«. Woolfs Zeitgenossin Edna St. Vincent Millay drückte es noch unverblümter aus: »Die einzigen Menschen, die ich wirklich hasse, sind Diener«, schrieb sie. »Eigentlich sind es gar keine Menschen.«
    Ja, eine seltsame Welt. Diener bildeten eine Klasse von Menschen, die im Grunde einzig dazu da war, für eine andere Klasse von Menschen alles, was diese wünschte, mehr oder weniger sofort zu tun oder zu beschaffen. Die Nutznießer dieses Arrangements erwarteten, dass ihnen so gut wie alles abgenommen wurde. Als der zehnte Herzog von Marlborough in den 1920er Jahren seine Tochter in einem Haus besuchte, das zu klein war, als dass er seine Diener hätte mitnehmen können, tauchte er in einem Zustand hilfloser Verwirrtheit aus dem Badezimmer auf seine Zahnbürste schäumte nicht richtig! Es stellte sich heraus, dass sein Kammerdiener ihm immer die Zahnpasta auf die Bürste getan hatte und der Herzog nicht wusste, dass Zahnbürsten sich nicht automatisch mit Zahnpasta belegen.
    Zum Dank wurden Diener und Dienerinnen oft erschreckend schlecht behandelt. Gern testeten Herrinnen zum Beispiel ihre Ehrlichkeit, indem sie ein Objekt der Versuchung dort hinterließen, wo es garantiert gefunden wurde, wie eine Münze auf dem Boden, und dann bestraften sie denjenigen, der es einsteckte. Die Absicht, die dahintersteckte, war natürlich, dass die Diener sich stets von einer höheren allwissenden Macht beobachtet und verfolgt fühlen sollten. Man verdächtigte sie auch häufig, Einbrechern Beihilfe zu leisten, indem sie ihnen Insiderinformationen gaben und Türen nicht verschlossen. Dass das alles nicht zum Wohlbefinden auf beiden Seiten beitrug, versteht sich von selbst. Besonders in kleineren Häusern fanden die Diener ihre Herrschaften über Gebühr anspruchsvoll, die Herrschaften ihre Diener faul und unzuverlässig.
    Demütigungen, beiläufig einfach mal ausgeteilt, waren täglich Brot für Dienstboten. Manchmal mussten sie einen neuen Namen annehmen, damit zum Beispiel der Unterlakai in einem Haus immer »Johnson« gerufen werden konnte und die Familie sich nicht der Mühe unterziehen musste, jedes Mal, wenn einer in Rente ging oder unter die Räder der Kutsche kam, einen neuen Namen zu lernen. Mit Butlern verhielt sich die Sache etwas heikler. Man verlangte von ihnen Haltung und Benehmen eines Gentleman und entsprechende Kleidung, doch oft mussten sie sich in ihrer Garderobe vergreifen — eine Hose tragen, die nicht zum Jackett passte —, damit ihre untergeordnete Stellung sofort zu erkennen war.*
    In einem Handbuch standen sogar Anweisungen, ja ein verwendbarer Dialog dazu, wie man einen Diener oder eine Dienerin vor einem Kind zum Besten beider erniedrigen konnte. In dem Modellszenario wird ein Knabe ins Arbeitszimmer beordert,*
     Übrigens spiegelt unser Bild von Dienerinnen in schwarzer Tracht mit Rüschenhaube, gestärkter Schürze und dergleichen nur eine sehr kurzlebige Realität . Uniformen für Dienstpersonal wurden erst mit dem Anstieg der Baumwollimporte in den 1850er Jahren üblich. Davor war die Kleidung der Oberschicht qualitativ derart deutlich sichtbar besser als die der arbeitenden Klassen, dass man Diener nicht durch Uniformen unterscheiden musste.
    wo seine Mutter mit dem leise weinenden, beschämten Kindermädchen steht.
    »Nurse Mary«, wendet sich die Mutter an den Sohn, »wird dir nun erzählen, dass es keinen schwarzen Mann gibt, der sich im Dunklen ins Zimmer unartiger kleiner Knaben schleicht und sie wegträgt. Ich möchte, dass du gut zuhörst, wenn Nurse Mary dir das nun selbst erzählt, denn sie geht heute, und du wirst sie vermutlich nie wiedersehen.«
    Dann werden der Kinderfrau alle ihre närrischen Geschichten vorgehalten, und sie muss sie eine nach der anderen widerrufen.
    Der Knabe hört genau zu und streckt der Angestellten zum Abschied die Hand hin. »Danke, Nurse«, sagt er mutig. »Ich hätte keine Angst haben

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