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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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die »öffentlichen« Aufgaben im Haus — öffneten die Tür, bedienten am Tisch, trugen Mitteilungen aus und wurden deshalb oft nach Größe, Haltung und Sex-Appeal ausgesucht, sehr zur Entrüstung von Mrs. Beeton. »Wenn eine Dame der guten Gesellschaft ihren Lakaien nur nach Größe, Figur und wohlgeformten Waden wählt, sollte es sie nicht überraschen, wenn sie einen Domestiken findet, der keine Bindung zur Familie verspürt«, schrieb sie naserümpfend.
    Affären zwischen Lakai und Herrin galten als typisch für die entspannteren Familien der Nation. In einem sehr bekannten Fall entdeckte Viscount Ligonier of Clonmell, dass seine Gattin sich mit einem italienischen Adligen eingelassen hatte, dem Grafen Vittorio Amadeo Alfieri. Wie es der Ehrenkodex gebot, forderte Ligonier den Conte zum Duell, die beiden Männer liehen sich in einem nahe gelegenen Laden ein Paar Schwerter und schritten zu etwas Duellähnlichem im Green Park in London. Ein paar Minuten lang kreuzten sie klirrend die Klingen, merkten aber dann, dass sie mit dem Herzen doch nicht dabei waren. Vielleicht, weil sie ahnten, dass die kapriziöse Lady Ligonier es nicht wert war, dass man ihretwegen sein Blut vergoss. Der Verdacht bestätigte sich prompt, als sie kurz danach mit ihrem Lakaien durchbrannte. Woraufhin im ganzen Land manch anzüglich-anerkennender Spruch und einige geniale Verse geschmiedet wurden, von denen ich folgenden Zweizeiler anbieten kann:
    Seht, die knackige Ligonier mag lieber ihren Burschen als ihren Peer.
    Ausschließlich und ständig schlimm war das Leben der Diener aber auch nicht. In den großen Häusern auf dem Land lebte die Herrschaft nur zwei, drei Monate im Jahr, so dass manche Diener lange, vergleichsweise angenehme Phasen hatten, die von Zeiten schwerer Arbeit und sehr langer Arbeitstage unterbrochen wurden. Für die Dienerschaft in der Stadt galt natürlich das Gegenteil.
    Doch Bedienstete mussten nicht frieren, hatten genug zu essen, Kleidung und jede Nacht einen Platz zum Schlafen, was in der Zeit alles sehr viel bedeutete. Wenn man die Pluspunkte in klingende Münze umrechnet, verdiente ein altgedienter, ranghoher Diener in heutigem Geld etwa 50 000 Pfund im Jahr. War man mutig und raffiniert genug, gab's auch was obendrauf. In Chatsworth, wo das Bier aus dem Brauhaus durch eine Leitung ins Haus geschickt wurde, die durch Joseph Paxtons großen Wintergarten lief, entdeckte man zum Beispiel bei einer routinemäßigen Wartung, dass ein einfallsreiches Mitglied des Haushalts sie ebenso routinemäßig anzapfte.
    Ein schöner Zusatzverdienst waren die Trinkgelder. Wenn Gäste sich nach einer Dinnerparty verabschiedeten, mussten sie gewöhnlich an einer Reihe von fünf, sechs Bediensteten entlanggehen, von denen jeder seinen Shilling erwartete; eine Dinnereinladung wurde also unter Umständen eine für alle (außer die Diener) teure Angelegenheit. Auch Wochenendgäste wurden auf diese Weise zur Kasse gebeten. Die Diener konnten sich ebenfalls etwas dazuverdienen, wenn sie Besucher herumführten. Im achtzehnten Jahrhundert entstand der Brauch, vorbeikommenden — anständig gekleideten — Menschen eine Besichtigungstour anzubieten, und für gute Bürger wurde es zur Gepflogenheit, genau wie heute, Adelssitze auf dem Land zu besuchen. In Wilton House konnte man im August 1776 die 3025. Besucherin in dem Jahr begrüßen.
    Manche Anwesen waren so überlaufen, dass man es streng organisieren musste, damit die Dinge nicht aus dem Ruder liefen. Chatsworth öffnete an zwei festgesetzten Tagen in der Woche, auch Woburn, Blenheim, Castle Howard, Hardwick Hall und Hampton Court richteten Öffnungszeiten ein, um die Besucherscharen in Grenzen zu halten. Horace Walpole wurde in seinem Haus Strawberry Hill in Twickenham derart heimgesucht, dass er Eintrittskarten und eine lange, ziemlich ungnädige Liste von Regeln zu Erlaubtem und Unerlaubtem drucken ließ.Wenn jemand zum Beispiel vier Eintrittskarten erbat, dann aber fünf Leute auftauchten, wurde überhaupt keiner hereingelassen. Andere Häuser waren entgegenkommender. Rokeby Hall inYorkshire richtete sogar einen Tea Room ein.
    Am schwersten mussten Diener eigentlich in kleineren Haushalten arbeiten, in denen einer die Aufgaben von zwei oder dreien zu verrichten hatte. Und zur Zahl der Diener, die man je nach finanzieller Situation und sozialem Status halten konnte, hatte Mrs. Beeton, wie könnte es anders sein, ebenfalls eine Menge zu sagen. Einem Adligen, befand sie, standen

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