Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
allem unterscheidet sich das fertige Haus sehr von dem, das Tull entwarf.
Eine Änderung ist besonders verblüffend. In Tulls ursprünglichem Plan war der Bereich, wo jetzt das Esszimmer ist, viel kleiner und schloss einen Raum für eine footman's pantry ein — also eindeutig einen Raum zum Essen und Ausruhen für die Bediensteten. Er wurde aber nie gebaut. Stattdessen wurde das Esszimmer grob doppelt so groß und nahm den gesamten Platz ein. Warum der Pfarrer, ein Junggeselle, seine Angestellten eines Ortes, an dem sie sich mal hätten niederlassen und erholen können, beraubte und sich selbst dafür ein geräumiges Esszimmer gönnte, kann man nach so langer Zeit natürlich nicht mehr sagen. Aber es bedeutete wirklich, dass die Diener sich nirgendwo bequem hinsetzen konnten, wenn sie nicht arbeiteten. Vielleicht saßen sie ja auch kaum. Diener saßen selten.
Mr. Marsham hatte drei: wie schon erwähnt, die Haushälterin Miss Worm und das Dienstmädchen Martha Seely, dazu James Baker, der als Stallbursche und Gärtner tätig war. Wie ihr Herr waren alle unverheiratet. Uns mag es heute übertrieben vorkommen, dass sich drei Bedienstete um einen ledigen Geistlichen kümmern, doch damals war das normal. Die meisten Pfarrer hatten mindestens vier Bedienstete und manche zehn oder mehr. Es war das Zeitalter der Diener. Familien hatten Diener, wie wir heute Haushaltsgeräte haben. Gewöhnliche Arbeiter hatten Diener. Manchmal hatten Diener Diener.
Diener waren auch mehr als nur praktisch und bequem, sie waren ein entscheidender Indikator für den gesellschaftlichen Status, den man innehatte. Bei Dinnerpartys konnte es Gästen passieren, dass sie entsprechend der Zahl ihrer Diener platziert wurden. Die Leute hielten auch, koste es, was es wolle, an ihren Dienern fest. Frances Trollope (1779-1863), die Mutter des Schriftstellers Anthony Trollope, hatte selbst im amerikanischen Grenzland und nachdem sie in einem gescheiterten Geschäftsunternehmen fast alles verloren hatte, einen uniformierten Lakaien. Karl Marx, der chronisch verschuldet in Soho lebte und oft kaum wusste, wie er das Essen auf den Tisch bringen sollte, beschäftigte eine Haushälterin und einen Privatsekretär. (Das Haus war oft so voll, dass der Sekretär, ein Mann namens Wilhelm Pieper, mit Marx in einem Bett schlafen musste. Trotzdem schaffte Marx es, genug private Augenblicke abzuzweigen, um die Haushälterin zu verführen. Im Jahr der Weltausstellung gebar sie ihm einen Sohn, Freddy Demuth.)
In einem Dienstverhältnis zu stehen machte für viele Leute einen Großteil des Lebens aus. Im Jahre 1851 war ein Drittel aller jungen Frauen in London — jedenfalls der im Alter zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig — Dienerinnen, ein weiteres Drittel Prostituierte. Viele hatten überhaupt keine andere Wahl. Die Zahl der männlichen und weiblichen Bediensteten in London lag über der der Einwohner aller englischen Städte, ausgenommen die sechs größten. Es war eine sehr weibliche Welt. 1851 standen zehnmal so viele weibliche Personen in einem Dienstverhältnis wie männliche. Allerdings war es für Frauen selten ein Job auf Lehenszeit; die meisten hörten mit fünfunddreißig auf, normalerweise, weil sie heirateten. Sehr wenige blieben länger als ein Jahr in einer Stellung. Kein Wunder, wie wir sehen werden, denn Dienerin zu sein war mit wenigen Ausnahmen Schwerstarbeit, und Undank war der Lohn.
Die Menge des Personals war natürlich sehr unterschiedlich, doch am oberen Ende der gesellschaftlichen Stufenleiter stattlich. Ein großes Landhaus hatte allein vierzig Bedienstete, die im Haus arbeiteten. Der Graf von Lonsdale, ein Junggeselle, lebte allein, hatte aber neunundvierzig Leute, die um ihn herumwieseln mussten. Lord Derby brauchte schon für die Bedienung am Tisch zwei Dutzend Männer und Frauen. Der erste Herzog von ChChandos hielt sich für die Mahlzeiten ein Privatorchester und holte aus manchem Musiker noch mehr heraus, indem er ihn Dienerarbeiten verrichten hieß. Der Geiger musste jeden Tag den Herzogssohn rasieren.
Personal, das seine Dienste außerhalb des Hauses verrichtete, ließ die Zahlen weiter anschwellen, besonders wenn die Herrschaften viel ritten oder jagten. Auf Elveden, dem Anwesen der Familie Guinness in Suffolk, waren sechzehn Wildhüter, neun Unterwildhüter, achtundzwanzig Männer speziell für die Kaninchenjagd und zwei Dutzend verschiedene Hilfskräfte beschäftigt, also siebenundsiebzig Leute, die immer genug Vögel
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