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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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ihm, in einer Kutsche, wartete Harriet Taylor, seine Geliebte. Sie war die Gattin eines Geschäftsmannes, der die Dinge nicht so eng sah und sie sich mehr oder weniger mit Mill teilte, ja, dem Paar für seine Rendezvous sogar ein Cottage westlich von London, in Walton-on-Thames, zur Verfügung stellte. Lesen Sie, was Carlyle selbst erzählt:
    Ein Klopfen an der Tür, Mill trat ein, blass, unfähig zu sprechen, stieß er nur hervor, meine Frau möge nach draußen gehen und ein Wort mit Mrs. Taylor wechseln; dann trat er (geführt von meiner Hand und meinem erstaunten Blick) näher, ein Bild purer Verzweiflung. Nach verschiedenen Äußerungen, unverständlich und verständlich, Letztere alle gleichen Inhalts, teilt er mir mit, dass mein Erster Band (den er fahrlässigerweise beim oder nach dem Lesen hatte herumliegen lassen) bis auf vier oder fünf Blattfetzen unwiederbringlich VERNICHTET sei! Ich kann mich — auch heute noch — an kein Werk erinnern, das ich mit so viel harter Plackerei geschrieben habe, aber aus dem ich mich an so wenig erinnern kann. Es ist fort. Die ganze Welt und ich mit ihr im Rücken könnten es nicht zurückholen: ja, sogar der alte Mut ist dahin ... Fort ist er und wird nicht wiederkommen.
    Eine Dienerin, erklärte /VIA habe das Manuskript vorm Kamin liegen sehen und zum Feueranzünden benutzt. Dass diese Erklärung nicht koscher war, liegt auf der Hand. Erstens sieht ein handgeschriebenes Manuskript, egal, wo es sich befindet, recht bedeutend aus; zweitens waren alle Dienerinnen im Mill'schen I laushalt an den Anblick von Manuskripten gewöhnt und garantiert auf deren Wichtigkeit und Wert eindringlich hingewiesen worden; drittens braucht man zum Feueranzünden kein ganzes Manuskript. Damit ein solches verbrennt, muss man geduldig immer ein paar Seiten auf einmal in den Kamin legen. Man handelt im Grunde nur dann wie von Mill behauptet, wenn man das Manuskript vernichten will. Kurzum, dass ein Hausmädchen, und sei es noch so dumm und gedankenlos, ein solches Werk in seiner Gänze versehentlich vernichten könnte, ist unvorstellbar.
    Vorstellen konnte man sich allerdings, dass Mill das Manuskript in einem Anfall von Neid oder Wut selbst ins Feuer geworfen hatte. Mill war Experte, was die Französische Revolution betraf, und hatte Carlyle erzählt, auch er wolle einmal ein Buch darüber schreiben. Neid war also ein mögliches Motiv. Außerdem steckte Mill zu der Zeit in einer persönlichen Krise. Mrs. Taylor hatte ihm gerade erklärt, dass sie ihren Mann nicht verlassen und auf jeden Fall an ihrem eigentümlichen Dreiecksverhältnis festhalten wolle, und es ist denkbar, dass Mill sich in einer erheblichen seelischen Schieflage befand. Andererseits passte ein derart rücksichtsloser zerstörerischer Akt weder zu seinem bisher unbescholtenen Charakter noch zu seinem anscheinend echten Entsetzen und Schmerz über den Verlust, womit nur die Möglichkeit blieb, dass Mrs. Taylor, die der spießige Carlyle nicht besonders mochte, in irgendeiner unerklärlichen Weise ihre Hand im Spiel gehabt hatte. Mill hatte den Carlyles erzählt, dass er ihr in Walton große Teile des Werks vorgelesen hatte, da konnte der Verdacht aufkommen, dass sie sich zur Zeit der Katastrophe mit dem Manuskript beschäftigt und aus irgendeinem unseligen Grunde das Übel herbeigeführt hatte.
    Leider konnte Carlyle die Geschichte nicht hinterfragen, nicht einmal nur hypothetisch, auch wenn er noch so verzweifelt war. Die Regeln der Höflichkeit verlangten, dass er die Tatsachen akzeptierte, wie Mill sie ihm schilderte, und keine weiteren Fragen danach stellte, wie dieses schreckliche, erstaunliche, unerklärliche Unglück geschehen konnte. Eine namentlich nicht genannte Dienerin hatte Carlyles Manuskript aus Achtlosigkeit komplett zerstört, und damit hatte es sich.
    Carlyle blieb nichts anderes übrig, als sich hinzusetzen und das Ruch nach bestem Wissen und Gewissen noch einmal zu schreiben — was insofern erschwert wurde, als er keine Notizen mehr hatte. Er hatte die bizarre, unsinnige Angewohnheit, die Notizen jedes Mal, wenn er ein Kapitel beendet hatte, zur Feier des Tages zu verbrennen. Mill drängte Carlyle eine Entschädigung von einhundert Pfund auf, von denen der ein Jahr leben konnte, während er das Buch neu schrieb, doch die Freundschaft der beiden Männer litt, wen wundert's, sehr darunter. Drei Wochen nach der Katastrophe klagte Carlyle in einem Brief an seinen Bruder, dass Mill nicht einmal so taktvoll gewesen

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