Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
mindestens fünfundzwanzig zu, jemandem mit einem jährlichen Einkommen von 1000 Pfund fünf: eine Köchin, zwei Hausmädchen, ein Kindermädchen und ein Laufbursche. Minimum für einen akademischen, bürgerlichen Haushalt waren drei: Zimmermädchen, Hausmädchen und Köchin. Selbst jemand, der jährlich nur 150 Pfund verdiente, galt als reich genug, ein Mädchen für alles zu beschäftigen (und damit war wirklich alles gemeint!). Mrs. Beeton selbst leistete sich vier Bedienstete. In Wirklichkeit hatten jedoch die meisten Leute offenbar nicht annähernd so viel Personal, wie Mrs. Beeton es für richtig hielt.
Ein viel typischerer Haushalt war der von Thomas und Jane Carlyle, des Historikers und seiner Frau, die in der Great Cheyne Row Nummer 5 in Chelsea ein einziges Mädchen beschäftigten. I )fiese wenig geschätzte arme Seele musste nicht nur kochen, putzen, das Geschirr spülen und wegstellen, die Kamine am Brennen halten, die Asche wegbringen, Besucher einlassen (oder abweisen), sich um Einkauf und Vorratshaltung kümmern, sondern auch jedes Mal, wenn die Carlyles baden wollten — und das wollten sie oft —, bis zu vierzig Liter Wasser holen, erhitzen, drei Treppen hochtragen, nach Gebrauch hinuntertragen und entsorgen.
Bei den Carlyles hatte das Hausmädchen kein eigenes Zimmer, sondern lebte und schlief in der Küche, überraschend normal in kleineren Häusern, selbst in einem so kultivierten wie dem der Carlyles. In der Great Cheyne Row war die Küche im Souterrain und wenn auch ein wenig dunkel, so doch behaglich und warm, aber selbst das bisschen Raum hatte das Hausmädchen nicht für sich. Auch der Hausherr fand es nämlich zum Lesen abends sehr gemütlich dort; dann verbannte er das Mädchen in die »hintere Küche«, was nicht zu schrecklich klingt, jedoch nur eine ungeheizte Vorratskammer war. Dort hockte dann das arme Ding zwischen Säcken mit Kartoffeln und allem möglichen anderen, bis es, oft sehr spät, hörte, dass Carlyle mit dem Stuhl ruckte, die Pfeife auf dem Kaminrost ausklopfte und sich zurückzog. Erst dann konnte es sich endlich in sein spartanisches Bett legen.
In den zweiunddreißig Jahren in der Great Cheyne Row hatten die Carlyles vierunddreißig Dienstmädchen — und dabei war die Arbeitslast insofern nicht ganz so arg, als sie kinderlos und von Natur aus einigermaßen geduldig und mitfühlend waren. Trotzdem fanden sie beinahe nie junge Frauen, die ihren hohen Ansprüchen gerecht wurden. Manchmal benahm sich freilich auch das Personal spektakulär daneben. Eines Nachmittags 1843 kam Mrs. Carlyle nach Hause und fand ihre Haushälterin sturzbetrunken »neben einem umgekippten Stuhl und inmitten eines vollkommenen Chaos von schmutzigem Geschirr und lauter Scherben« auf dem Küchenfußboden. Ein anderes Mal hörte sie entsetzt, dass ein Mädchen in ihrer Abwesenheit im unteren Empfangszimmer ein uneheliches Kind geboren hatte, und war insbesondere erbost, dass es »alle meine guten Servietten« benutzt hatte. Die meisten Mädchen im Hause Carlyle gingen aber oder wurden gegangen, weil sie nicht so schwer schuften wollten, wie es verlangt wurde.
Diener waren eben auch nur Menschen und besaßen selten ausreichend Verstandesschärfe, Durchhaltevermögen und Geduld, die endlosen Launen ihrer Herrschaften zu ertragen. Wer über die vielen Talente verfügte, die man brauchte, um ein brillanter Diener zu sein, wollte bestimmt nicht als solcher arbeiten.
Am schlimmsten dran waren Bedienstete, weil sie sich praktisch nicht wehren konnten. Fast alles konnte man ihnen in die Schuhe schieben; bequemere Sündenböcke gab es nicht, wie die Carlyles selbst bei einer berühmten Gelegenheit am Abend des sechsten März 1835 erlebten. Sie waren erst kurz zuvor aus ihrem heimatlichen Schottland nach London gezogen, weil sie hofften, dass Thomas sich dort als Schriftsteller werde etablieren können. Thomas war achtunddreißig Jahre alt und hatte sich schon mit einer Arbeit über eine schwer verständliche persönliche Philosophie mit dem Titel Sartor Resartus einen bescheidenen Ruf gut, einen sehr bescheidenen — erworben. Sein Opus magnum, eine vielbändige Geschichte der Französischen Revolution, sollte folgen. Nach großen Mühen und Plagen beendete er im Winter 1835 den ersten Band und gab das Manuskript seinem Freund und Mentor John Stuart Mill mit der Bitte um seine geschätzte Stellungnahme.
An einem kalten Abend Anfang März nun erschien ein aschfahler Mill an Carlyles Haustür; hinter
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