Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
dass der Marktpreis von Ö1 katastrophal fiel, von zehn Dollar das Barrel im Januar 1861 auf gerade mal zehn Cents am Ende des Jahres. Das war schön für die Verbraucher und die Wale, doch nicht so schön für die in der Branche Tätigen. Während der Boom zu einer Flaute wurde, fielen auch die Preise für Land. 1878 bekam man für eine Parzelle in Pithole City, für die man dreizehn Jahre zuvor zwei Millionen Dollar auf den Tisch hatte legen müssen, nur noch 4,37 Dollar.
Viele gerieten also ins Schlingern und versuchten verzweifelt, aus dem Ölgeschäft auszusteigen; nur in einer kleinen Firma in Cleveland, die Clark and Rockefeller hieß und mit Schweinefleisch und anderen landwirtschaftlichen Produkten handelte, beschloss man einzusteigen und kaufte Bohrrechte von bankrotten Unternehmen auf. Im Jahre 1877, nicht einmal zwanzig Jahre nach der Entdeckung von Öl in Pennsylvania, war Clark von der Bildfläche verschwunden, und John D. Rockefeller kontrollierte etwa neunzig Prozent des Ölgeschäfts in den Vereinigten Staaten. Das Ö1 lieferte nicht nur den Rohstoff für ein über die Maßen lukratives Beleuchtungsmaterial, sondern befriedigte auch die große Nachfrage nach Schmiermitteln für all die Maschinen und Geräte des neuen industriellen Zeitalters. Auf Grund seines Quasimonopols konnte Rockefeller die Preise stabil halten und wurde sensationell reich. Als sich das Jahrhundert dem Ende zuneigte, wuchs sein Privatvermögen jährlich um etwa eine Milliarde Dollar (in heutigem Geld). Und das in einem Zeitalter ohne Einkommensteuer. Noch nie ist ein Mensch so reich geworden.
Bissell und seinen Partnern war das Glück nicht immer derartig hold, und wenn, dann in entschieden moderaterem Ausmaß. Die Seneca Oil Company verdiente eine Weile gutes Geld, doch 1864, nur fünf Jahre nachdem Drake mit seinen Bohrungen den Durchbruch geschafft hatte, konnte sie nicht mehr mithalten und machte dicht. Drake haute das Geld, das er verdient hatte, auf den Kopf und starb bettelarm und schwer gezeichnet von einer Neuralgie wenig später. Bissell erging es besser. Er investierte seine Gewinne in eine Bank und andere Geschäfte und häufte ein bescheidenes Vermögen an — jedenfalls so viel, dass er Dartmouth eine kleine Sporthalle bauen konnte, die immer noch steht.
Während Kerosin sich als bevorzugtes Beleuchtungsmittel in Millionen Häusern besonders in Kleinstädten und ländlichen Gegenden durchsetzte, trat die Konkurrenz in vielen größeren Gemeinwesen schon in Gestalt eines neuen Wunders der Zeit auf: Gas. Von 1820 an war für die Begüterten in vielen Großstädten Gas eine weitere Option. Genutzt wurde es allerdings hauptsächlich für die Beleuchtung von Fabrikhallen und Läden sowie bei der Straßenbeleuchtung, erst gegen Mitte des Jahrhunderts setzte es sich in Privathäusern durch.
Gas hatte viele Nachteile. Menschen, die in Büros mit Gasversorgung arbeiteten oder Theater besuchten, die mit Gas beleuchtet wurden, klagten oft über Kopfschmerzen und Übelkeit. Um dem entgegenzuwirken, brachte man die Gaslampen vor Fabrikfenstern manchmal draußen an. Im Inneren schwärzte es überdies Decken, verfärbte Stoffe, zerfraß Metall und hinterließ auf jeder horizontalen Fläche eine schmierige Rußschicht. Blumen welkten schnell, und die meisten Pflanzen wurden gelb, wenn sie nicht in einem Terrarium isoliert waren. Nur die Schusterpalme schien dagegen immun zu sein, was erklärt, warum sie auf last jedem viktorianischen Wohnzimmerfoto zu sehen ist. Auch heim Entzünden der Gasflamme musste man einige Vorsicht wallen lassen. Die meisten Versorger drosselten die Zufuhr tagsüber, wenn die Nachfrage gering war. Wollte man dann das Gas anstellen, musste man den Hahn weit aufdrehen, um ein vernünftiges Licht zu bekommen. Wurde aber später am Tag der Druck erhöht, loderte dort, wo jemand vergessen hatte, den Hahn herunterzudrehen, die Flame gefährlich hoch und versengte die Decke und konnte natürlich Brände entfachen. Gas war nicht nur schmutzig, sondern auch gefährlich.
Es hatte aber einen unwiderstehlichen Vorteil. Es brannte hell zumindest im Vergleich mit allem, was man bisher kannte. Ein normales Zimmer, das mit Gas beleuchtet wurde, war zwanzigmal heller als vorher. Intim war das Licht nicht — man konnte es nicht wie eine Tischlampe näher zum Buch oder zur Näharbeit ziehen —, aber es sorgte für eine wunderbare Gesamtbeleuchtung. Lesen, Kartenspielen, ja, sogar die Gespräche wurden angenehmer.
Weitere Kostenlose Bücher