Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
Essensgäste konnten sich über die Beschaffenheit der Speisen Gewissheit verschaffen, zarte Fischgräten erkennen und aussortieren und endlich sehen, wie viel Salz aus dem Loch des Salzstreuers kam. Man konnte eine Nadel fallen lassen und sie sofort (und nicht erst am nächsten Morgen bei Tageslicht) aufheben und die Titel der Bücher auf den Regalen lesen. Die Leute lasen nun auch mehr und blieben abends länger auf. Es ist kein Zufall, dass um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts ein anhaltender Boom an Zeitungen, Zeitschriften, Büchern und Noten einsetzte. Die Zahl der britischen Zeitungen und Zeitschriften stieg sprunghaft von weniger als einhundertfünfzig zu Beginn des Jahrhunderts bis auf fast fünftausend am Ende an.
Besonders beliebt war Gas in den Vereinigten Staaten und ( Großbritannien, wo es ab 1850 in den meisten großen Städten zur Verfügung stand. Es blieb aber ein Luxus der Mittelklasse. nie Armen konnten es sich nicht leisten, und die Reichen verschmähten es häufig, weil es teuer und nur mit großem Aufwand zu installieren war, ganz zu schweigen davon, dass es an Gemälden und kostbaren Stoffen Schaden anrichtete. Außerdem fragte man sich, warum man unbedingt in mehr Bequemlichkeit investieren sollte, wo man doch Bedienstete hatte, die ohnehin alles für einen taten. Folglich waren nicht nur bürgerliche Haushalte, sondern ironischerweise auch Institutionen wie Irrenhäuser und Gefängnisse lange vorher besser beleuchtet — und recht bedacht, auch besser beheizt — als die Adelssitze in England.
Es ausreichend warm zu haben war im ganzen neunzehnten Jahrhundert für die meisten Menschen schwierig. Mr. Marsham hatte praktisch in jedem Zimmer seines Pfarrhauses, sogar im Ankleidezimmer, einen Kamin und obendrein einen mächtigen Herd in der Küche. So viele Kamine bzw. Öfen zu reinigen, zu bestücken und am Brennen zu halten war eine Heidenarbeit, doch mehrere Monate im Jahr war das Haus bestimmt trotzdem unangenehm kalt. (Ist es immer noch.) Kamine sind einfach derart ineffizient, dass man nur ein paar Kubikmeter Wohnraum damit warm kriegt. Doch während man in einem gemäßigten Klima wie in England noch darüber hinwegsehen konnte, musste man in den eiskalten Wintern in großen Teilen Nordamerikas bibbern. Thomas Jefferson klagte einmal, er habe abends aufhören müssen zu schreiben, weil die Tinte im Tintenfass gefroren war. Und ein Tagebuchschreiber namens George Templeton Strong hielt fest, dass er im Winter 1866 selbst mit zwei brennenden Öfen und sämtlichen Kaminen hell lodernd die Temperatur in seinem Bostoner Haus nur wenig über drei Grad Celsius bekam.
Wer sann auf Abhilfe? Benjamin Franklin natürlich! Er erfand den sogenannten Franklin- oder Pennsylvania-Ofen, der zweifellos eine Verbesserung darstellte, aber leider mehr auf dem Papier als in der Praxis. Im Grunde war es ein in einen Kamin gesteckter Ofen mit zusätzlichen Rauchabzügen und Luftkanälen, die den Luftzug geschickt um- und mehr Hitze zurück ins Zimmer leiteten. Außerdem war er teuer und der Einbau oft fürchterlich umständlich und aufwändig. Franklins Konstruktion wurde in den Vereinigten Staaten von David Rittenhouse und in Europa von Benjamin Thompson, Reichsgraf von Rumford, verbessert, doch warm und angenehm wurde es erst, als die Leute die Kamine zumauerten und einen Ofen in die Zimmer stellten. Der sogenannte Holländische Ofen roch nach heißem Eisen und machte die Luft sehr trocken, sorgte aber wenigstens dafür, dass es warm wurde und blieb.
Als die Menschen in den Vereinigten Staaten gen Westen in die Prärien und weiter zogen, fehlte Holz als Heizmaterial. Man benutzte unter anderem Maiskolben und getrocknete Kuhfladen, für die man den schönen Ausdruck »überirdische Kohle« kreierte. In der Wildnis verbrannten die Menschen auch alle möglichen Fette von Schweinen, Hirschen, Bären, sogar das Fett von Wandertauben sowie Fischtran, obwohl dieses Zeug qualmte und stank.
Der Ofenbau wurde in den Vereinigten Staaten zur fixen Idee. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts waren beim nationalen Patentamt mehr als siebentausend Typen registriert. Das Einzige, wus sie alle gemeinsam hatten, war die viele Arbeit, die es kostete, sie am Brennen zu halten. Ein Durchschnittsofen verbrannte laut einer Studie in Boston im Jahre 1899 mehr als 250 Pfund Kohle in der Woche, produzierte etwa fünfundzwanzig Pfund Asche, und man musste sich täglich drei Stunden und elf Minuten um ihn kümmern. Hatte
Weitere Kostenlose Bücher