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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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nicht älter als zehn gewesen sein, als er unter Beckfords ungesunden Einfluss fiel. Es bestand also weder die Aussicht, dass die Familie den Vorfall unter den Teppich kehren, noch dass Beckfords gehörnter Cousin vor Freude Luftsprünge machen würde. Tief in Schimpf und Schande gefallen floh Beckford auf den Kontinent, wo er viel reiste und seinen — auf Französisch geschriebenen — Schauerroman Vathek publizierte, der heute im Grunde unleserlich ist, aber damals sehr goutiert wurde.
    Obwohl Beckford zwölf Jahre später immer noch in Ungnade war, tat er 1796 etwas völlig Unvorhergesehenes. Er kehrte nach England zurück und verkündete, er werde den erst vierzig Jahre alten Familiensitz in Wiltshire, Fonthill Splendens, niederreißen und dort ein neues Haus bauen. Nicht irgendein Haus, sondern seit Blenheim das größte Haus in England! Eine seltsame Entscheidung, denn es war doch sehr unwahrscheinlich, dass er in dem Haus jemals Gäste empfangen würde. Als Architekten für dieses ein wenig irrwitzige Unterfangen nahm er James Wyatt.
    Wyatt ist eine seltsam vernachlässigte Figur. Die einzige solide Biografie (von Antony Dale) erschien vor über einem halben Jahrhundert. Wyatt wäre vielleicht berühmter, wenn nicht so viele seiner Gebäude verschwunden wären. Heute erinnert man sich mehr an ihn wegen der Gebäude, die er zerstörte, als wegen der, die er baute.
    Als Bauernsohn in Staffordshire geboren, zog es ihn schon als jungen Mann zur Architektur. Er verbrachte sechs Jahre in Italien, wo er Architekturzeichnen lernte, und entwarf 1770, als er gerade mal vierundzwanzig Jahre alt war, das als Ausstellungshalle und Versammlungsraum genutzte Pantheon in London. Es war grob dem antiken Gebäude gleichen Namens in Rom nachempfunden und stand einhundertsechzig Jahre lang in bester Lage in der Oxford Street. Horace Walpole fand es das »schönste Gebäude in England«. Marks & Spencer leider nicht: Sie rissen es 1931 ab und errichteten an seiner Stelle ein neues Kaufhaus.
    Wyatt war ein begabter, ausgezeichneter Architekt — unter George III. wurde er Beamter im Bauministerium, im Grunde staatlich bestallter Architekt der Nation —, ansonsten aber ein ewiger Chaot. Er war schlecht organisiert, vergesslich, ja, total verlottert. Da er einen guten Tropfen sehr zu schätzen wusste, unternahm er bisweilen ausgedehnte Zechtouren. In einem Jahr verpasste er im Bauministerium fünfzig Sitzungen hintereinander. Ihm fehlte auch jeglicher Überblick, was seine Mitarbeiter so trieben, und einmal kam heraus, dass einer seiner Helfer drei Jahre lang Urlaub gemacht hatte. Wenn Wyatt allerdings nüchtern war, war er wegen seines Charmes und seiner Gutmütigkeit sowie seiner baulichen Visionen sehr beliebt und geachtet. Seine Bronzebüste in der National Portrait Gallery zeigt ihn, sauber rasiert (ein ungewöhnlicher Zustand bei ihm), mit schönem vollen Haar und merkwürdig trübsinniger Miene — aber vielleicht hat er auch nur einen Kater.
    Trotz seiner Unzulänglichkeiten wurde er der begehrteste Architekt seiner Epoche, nahm aber immer mehr Aufträge an, als er schaffen konnte, und widmete zum endlosen Ärger seiner Auftraggeber selten einem Projekt die notwendige Zeit. »Wenn er an einem schönen, großen Feuer sitzt und eine Flasche vor sich stehen hat, schert ihn alles andere nicht mehr«, beschwerte sich einer seiner vielen frustrierten Kunden.
    »Man ist wirklich allenthalben der Meinung«, schrieb sein Biograf Dale, »dass Wyatt drei hervorstechende Fehler hatte: einen vollkommenen Mangel an Geschäftstüchtigkeit, die pure Unfähigkeit, sich seiner Arbeit kontinuierlich mit der nötigen Intensität zu widmen, [...] und ungeheuren Leichtsinn.« So weit die Worte eines ihm geneigten Betrachters. Anders gesagt: Wyatt war unmöglich und verantwortungslos. Ein Kunde namens William Windham hielt elf Jahre an ihm fest, obwohl die Arbeit in einem Bruchteil der Zeit hätte bewältigt werden können. »Da hat ein Mann schon mal das Recht, die Geduld zu verlieren«, schrieb Windham seinem abwesenden Architekten, »wenn er feststellen muss, dass die Haupträume seines Hauses so gut wie unbewohnbar sind, weil Ihr nicht das erledigt habt, was in ein paar Stunden zu schaffen gewesen wäre.« Als Wyatts Kunde musste man hart im Nehmen sein.
    Doch Wyatt war trotz alledem außerordentlich produktiv. Im Verlauf von vierzig Jahren errichtete er einhundert Landhäuser oder baute sie um, gestaltete fünf Kathedralen aufwändig neu und

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