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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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trieb, weiß man nicht, doch er wollte einen schnell trocknenden Zement erschaffen, wie ihn einst die Römer benutzt hatten (deshalb Roman Cement). Leider wusste man nicht mehr, wie er hergestellt wurde, und leider besaß er eine geringe Bindung und fiel, wenn er nicht ganz korrekt gemischt wurde, in großen Brocken auseinander — wie nun in Fonthill. Entsetzt musste Beckford erleben, wie seine mächtige Abtei schon zerfiel, während sie errichtet wurde. Zweimal brach sie beim Bau zusammen. Selbst als sie in voller Größe fertig dastand, knirschte und stöhnte sie unheilschwanger.
    Zu Beckfords nicht enden wollendem Ärger war Wyatt, weil betrunken oder an anderen Projekten zugange, häufig nicht da. Als in Fonthill buchstäblich alles in sich zusammenkrachte und die fünfhundert Arbeiter entweder um ihr Leben rannten oder Däumchen drehten und auf neue Anweisungen warteten, war Wyatt zum Beispiel mit einem riesigen, unausgegorenen Bauvorhaben beschäftigt: Er sollte für George III. einen neuen Palast in Kew errichten. Warum George III. einen neuen Palast in Kew wollte, fragt man sich zu Recht, denn er hatte dort schon einen sehr guten, doch Wyatt legte los und entwarf ein eindrucksvolles Gebäude (wegen seines abschreckenden Äußeren mit dem Spitznamen »Bastille« belegt), eines der allerersten, bei deren Konstruktion er Gusseisen benutzen wollte. Wie der neue Palast aussehen sollte, wissen wir nicht, weil keine Abbildung existiert, doch anders als furchtbar hätte das Urteil gar nicht ausfallen können, denn bis auf die Türen und Fußböden sollte er komplett aus Gusseisen sein, und darin zu residieren hätte sich gewiss angefühlt, als residiere man in einem Kessel. Doch während der Bau an der Themse in die Höhe wuchs, verlor der König sein Augenlicht und sein Interesse an Dingen, die er nicht sehen konnte, und eigentlich hatte er Wyatt ja auch von Anfang an nicht gemocht.
    Als der Palast halb fertig war und mehr als 100 000 Pfund verschlungen hatte, gab man die Arbeit daran von heute auf morgen auf. Zurück blieb eine Bauruine, die etwa zwanzig Jahre später von dem neuen König George IV. abgerissen wurde.
    Beckford bombardierte Wyatt unterdes mit empörten Briefen. »In welchem verkommenen Wirtshaus, in welcher stinkenden Taverne oder in welchem syphilitischen Hurenhaus versteckt Ihr Eure altersschwachen, schlabbrigen Glieder?«, begann einer. Sein Lieblingsname für Wyatt war »Bagasse« (das ist der faserige Rest, der übrig bleibt, wenn man Zuckerrohr ausgepresst hat) oder »Lude«. Jede Epistel strotzte von solch wütenden, fantasievollen Beleidigungen. Wyatt konnte einen aber auch wirklich auf die Palme bringen. Einmal verließ er Fonthill, um angeblich wegen dringender Geschäfte nach London zu fahren, doch er kam nur fünf Kilometer weit bis zu einem anderen Anwesen Beckfords, wo er sich mit einem Gast, der auch gern mal einen hob, zusammentat. Beckford entdeckte sie eine Woche später beide besinnungslos, umgeben von leeren Flaschen.
    Wie viel Fonthill Abbey letztendlich kostete, ist unbekannt, doch meinte ein gut informierter Beobachter 1801, es müssten gut und gerne 242 000 Pfund sein. Damit hätte Beckford zwei Kristallpaläste bauen können, und sein Palast war zudem noch nicht einmal halb fertig. Im Sommer 1807 zog Beckford ein, obwohl die neue Residenz auch da noch unvollendet war. Von Bequemlichkeit konnte nirgendwo die Rede sein. »Man musste ständig sechzig Feuer am Brennen halten, damit das Haus trocken blieb, von warm ganz zu schweigen«, berichtet Simon Thurley. Die meisten Schlafzimmer waren kahl wie Mönchszellen; dreizehn hatten keine Fenster. Auch Beckfords Schlafzimmer, in dem nur ein schmales Einzelbett stand, war sehr asketisch.
    Doch Wyatt schaute auch weiterhin nur sporadisch vorbei und trieb Beckford zur Weißglut, wenn die Abstände mal wieder zu groß wurden. Und als er Anfang September 1813, kurz nach seinem siebenundvierzigsten Geburtstag, mit einem Kunden von Gloucestershire zurück nach London fuhr, kippte die Kutsche um, und er knallte mit dem Kopf gegen eine Mauer. Der Aufprall war tödlich, Wyatt starb mehr oder weniger sofort und hinterließ eine völlig mittellose Witwe.
    Genau um die Zeit sanken die Zuckerpreise, auch William Beckfords Einnahmen litten. 1823 war er so knapp bei Kasse, dass er Fonthill verkaufen musste. Es wurde für 300 000 Pfund von einem Exzentriker namens John Farquhar gekauft, der aus dem ländlichen Schottland stammte, aber als junger

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