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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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Möbelhersteller und Hunderte mehr im übrigen London und im ganzen Land. Der Grund, warum wir heute alle noch Chippendales Namen kennen, liegt darin, dass er 1754 etwas sehr Gewagtes tat. Unter dem Titel Der Führer des vornehmen Herrn und Kunsttischlers gab er ein Buch mit Modellen auf einhundertsechzig Bildtafeln heraus. Bei Architekten war so etwas schon seit fast zweihundert Jahren üblich, bei Möbeln war bisher noch niemand auf die Idee gekommen. Die Zeichnungen in Chippendales Musterbuch waren überraschend verführerisch. Statt flacher, zweidimensionaler Abbildungen wie bisher waren es Perspektivzeichnungen mit Licht und Schatten. Der potentielle Käufer konnte sich sofort vorstellen, wie diese hübschen, begehrenswerten Objekte in seinem eigenen Heim aussehen würden. Es wäre falsch, Chippendales Buch als Sensation zu bezeichnen, denn es wurden nur 308 Exemplare verkauft, doch zu den Käufern gehörten neunundvierzig Angehörige des Adels, wodurch es überproportional einflussreich wurde. Aber auch andere Möbelhersteller und Handwerker erwarben es, womit eine weitere Merkwürdigkeit entstand — Chippendale lud seine Konkurrenten offen ein, seine Modelle für ihre eigenen geschäftlichen Zwecke zu nutzen. Das diente zwar Chippendales Nachruhm, förderte zu seinen Lebzeiten aber nicht gerade seinen Umsatz, denn die Leute konnten nun Chippendale-Möbel kaufen, die von jedem einigermaßen geschickten Schreiner eventuell billiger hergestellt wurden. Darüber hinaus bedeutete es zweihundert schwere Jahre für die Möbelhistoriker, die feststellen wollten, welche Möbel echte Chippendales waren und welche Kopien nach Vorlagen aus seinem Buch. Selbst wenn ein Möbelstück wirklich »echter Chippendale« ist, heißt das nicht, dass Thomas Chippendale es je berührte oder von seiner Existenz wusste. Ja, es heißt noch nicht einmal, dass er es entworfen hat, denn wie viel Talent er dazukaufte oder ob die Modelle in seinen Büchern wirklich von seiner Hand stammen, weiß man auch nicht. Ein echter Chippendale bedeutet nur, dass das Teil aus Chippendales Werkstatt kommt.
    Aber Chippendale besitzt einen solchen Nimbus, dass es ihm nicht einmal derartig nahe gekommen sein muss. Im Jahre 1756 stellte in der Kolonialstadt Boston ein John Welch einen Mahagonitisch nach einem Entwurf Chippendales her und verkaufte ihn an einen Herrn Dublois, in dessen Familie der Tisch über zweihundertfünfzig Jahre lang verblieb. Dann ließ man ihn 2007 bei Sotheby's in New York versteigern. Obgleich Thomas Chippendale keine direkte Verbindung zu dem Tisch hatte, wechselte der für knapp 3,3 Millionen Dollar den Besitzer.
    Angeregt von Chippendales Erfolg gaben andere Möbelhersteller eigene Musterbücher heraus. George Hepplewhites Handbuch des Möbeltischlers und Polsterers kam 1788 heraus, und zwischen 1791 und 1794 folgte Thomas Sheraton mit der Fortsetzungsserie Des Möbeltischlers und Polsterers Zeichenheft. Sheratons Buch hatte mehr als doppelt so viele Subskriptionen wie Chippendale und wurde als Modell- und Zeichenbuch für Ebenisten, Tischler, Tapezierer und Stuhlmacher ins Deutsche übersetzt, eine Auszeichnung, die Chippendales Buch nicht zuteilwurde. Hepplewhite und Sheraton wurden besonders beliebt in Amerika.
    Obwohl heute jedes Möbelstück, das direkt mit einem der drei in Verbindung gebracht werden kann, ein Vermögen wert ist, wurden sie zu Lebzeiten zwar geschätzt, aber nicht groß gefeiert und manchmal nicht einmal geschätzt.
    Chippendales Stern sank zuerst. Er war ein Wahnsinnsmöbelmacher, aber als Geschäftsmann hatte er wenig Geschick, was sich akut bemerkbar machte, als 1766 sein Partner James Rannie starb. Rannie war der Kopf des Unternehmens gewesen, und ohne ihn schlitterte Chippendale für den Rest seines Lebens von einer Krise zur anderen. Das war ungemein bitter für ihn, denn während er sich abstrampelte, um seine Männer zu bezahlen und sich selbst vor dem Schuldturm zu bewahren, stellte er immer noch Möbel von allerhöchster Qualität für einige der reichsten englischen Häuser her und arbeitete eng mit den führenden Architekten und Designern seiner Zeit zusammen, unter anderem mit Robert Adam, James Wyatt und Sir William Chambers. Aber mit ihm selbst ging es erbarmungslos bergab.
    Als Kaufmann hatte man es nicht leicht. Die Kunden bezahlten grundsätzlich spät. Dem berühmten Schauspieler und Theatermann David Garrick musste Chippendale wegen notorisch unbeglichener Rechnungen mit rechtlichen

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