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Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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überschwänglichen Zeitalters, des Rokkoko, schnitzen und sägen, doch es war auch stark genug für ein Möbelstück. Holz mit solchen Eigenschaften hatte man bisher noch nie gehabt. Plötzlich hatten Möbel eine plastische Qualität. Man konnte die mittleren Stangen der Rückenlehnen von Stühlen so gestalten, dass Menschen, die nie etwas weniger Plumpes als einen Windsorstuhl gesehen hatten, plötzlich ganz hin und weg waren. Man konnte schön geschwungene Beine mit üppigen Füßen herstellen; die Armlehnen endeten in Schnörkeln und Voluten, die angenehm anzufassen waren und gut aussahen. Plötzlich schien jeder Stuhl — ja, jedes handwerklich hergestellte Ding im Haus ein Ausbund an Eleganz, Stil und Leichtigkeit.
    Mahagoni wäre nicht halb so wertgeschätzt worden, hätte es nicht ein weiteres magisches neues Material von der anderen Seite des Globus gegeben, das ihm den glänzenden letzten Schliff gab: Schellack. Schellack wird aus dem harten, harzigen Sekret der Lackschildlaus, dem Gummilack, gemacht, ist geruchlos, ungiftig, äußerst resistent gegen Kratzer und Verblassen und glänzt prächtig. Wenn er nass ist, zieht er keinen Staub an und trocknet in Minutenschnelle. Selbst jetzt in unserem Zeitalter der Kunststoffe findet Schellack dutzendfach Anwendung, synthetische Produkte können nicht mit ihm konkurrieren. Wenn Sie zum Beispiel Bowlen gehen — es ist der Schellack, der den Bahnen ihren unvergleichlichen Glanz verleiht.
    Neue Hölzer und Lacke veränderten die Form, die die Möbel nun bekamen, doch man brauchte auch noch eine neue Methode der Herstellung, um Qualitätsmobiliar in großen Mengen produzieren zu können. Während traditionelle Designer wie Robert Adam für jeden neuen Auftrag ein neues Design ersannen, begriffen andere Hersteller nun, dass es viel kosteneffizienter war, viele Möbel nach einem einzigen Modell zu bauen. Außerdem begannen sie ein groß angelegtes Fabriksystem einzuführen, das heißt, sie produzierten Möbelteile, die alle nach einem Muster ausgeschnitten, von Spezialistenteams zusammengefügt, lackiert und fertig gemacht wurden. Das Zeitalter der Massenherstellung war geboren.
    Es entbehrt allerdings nicht einer gewissen Ironie, dass wir die Menschen, die am meisten dazu beigetragen haben, dass Möbel in Fabriken gefertigt wurden, heute vor allem wegen ihrer Handwerkskunst bewundern — und das trifft ganz besonders auf einen obskuren Möbelschreiner aus dem Norden Englands zu,Thomas Chippendale. Sein Einfluss war enorm. Er war der erste Bürgerliehe, nach dem man einen Möbelstil benannte, vor ihm erinnerten die Namen stets getreu an Monarchien, Könige und Königinnen: Tudor, Elisabethanisch, Louis-Quatorze, Queen Anne. Trotzdem wissen wir wenig über Chippendale, beispielsweise nicht, wie er aussah. Von seiner Kindheit und Jugend ist nur bekannt, dass er in dem Marktstädtchen Otley am Rande der Yorkshire Dales geboren wurde und aufwuchs. In schriftlichen Dokumenten taucht er zum ersten Mal im Jahre 1748 auf, als er, schon dreißig, in London ankam und sieh als eine neue Art von Hersteller und Vertreiber von Haushaltsmöbeln etablierte.
    Das war ein ehrgeiziges Unterfangen, denn die Geschäfte von Produzenten und Kaufleuten in Personalunion waren kompliziert und umfänglich. Einer der erfolgreichsten, George Seddon, beschäftigte vierhundert Arbeitskräfte — Holzschneider, Vergolder, Tischler, Spiegel- und Messingmacher und viele mehr. Chippendales Laden war nicht ganz so groß, doch vierzig, fünfzig Männer beschäftigte er auch und besaß Geschäftsräume in der St. Martin's Lane Nr. 60 und 62, gerade um die Ecke des heutigen Trafalgar Square (der freilich erst achtzig Jahre später angelegt werden sollte). Chippendale bot einen ungeheuer umfassenden Service an, er stellte her und verkaufte: Stühle, Beistelltische,Toilettentische, Schreibtische, Kartentische, Bücherschränke, Sekretäre, Spiegel, Uhrenkästen, Kandelaber, Kerzenständer, Notenständer, Wandleuchter, Toilettenstühle und ein exotisches neues Möbelstück, das er »Sopha« nannte. »Sophas« hatten etwas Kühnes, ja sogar Frivoles, denn sie ähnelten Betten, und ein Schelm, wer an wollüstige Ruhestündchen bei ihrem Anblick dachte. Die Firma verkaufte auch Tapeten und Teppiche und führte Reparaturen, Umzüge und sogar Beerdigungen aus.
    Thomas Chippendale machte unbestritten feine Möbel, viele andere aber auch. Im achtzehnten Jahrhundert gab es allein in der St. Martin's Lane dreißig

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