Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge

Titel: Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
Vom Netzwerk:
zwischen 1500 und 1850 bis zu zwei Millionen Seeleute zum Opfer, auf einer langen Fahrt meist die Hälfte der Mannschaft. Verzweifelt versuchte man, mit verschiedensten Mitteln dagegen anzugehen. Auf der Reise nach Indien und zurück hielt Vasco da Gama seine Männer zum Beispiel an, sich den Mund mit Urin auszuspülen, was weder gut gegen den Skorbut noch für die Stimmung gewesen sein kann. Manchmal waren die Verluste wirklich erschreckend.
    Auf einer drei Jahre währenden Fahrt in den 1740er Jahren verlor eine britische Meeresexpedition unter dem Kommando von Flottenadmiral George Anson von zweitausend Männern vierzehnhundert. Vier starben durch Feindeinwirkung, alle anderen im Grunde an Skorbut.
    Mit der Zeit merkten die Leute, dass Seefahrer, die an Skorbut litten, sich erholten, sobald sie vor Anker gingen und frisches Essen bekamen, doch man konnte sich nicht darauf einigen, was in dem Essen ihnen eigentlich geholfen hatte. Manche Leute meinten, es sei gar nicht das Essen, sondern der Luftwechsel gewesen. Aber ganz davon abgesehen, war es ohnehin unmöglich, Lebensmittel auf langen Fahrten wochenlang frisch zu halten. Auch wenn man herausgefunden hätte, welches Gemüse oder sonstiges Essen die heilende Wirkung hatte, hätte das nichts gebracht. Man brauchte etwas wie eine destillierte Essenz — ein Antiskorbutikum, wie die Mediziner sagten —, die bei Skorbut half, aber auch leicht zu transportieren war.
    Um den Wirkstoff zu finden, führte ein schottischer Arzt namens William Stark, offenbar angespornt von Benjamin Franklin, in den 1760er Jahren eine Serie absolut tollkühner Experimente durch. Wochenlang lebte er nur von den allerelementarsten Dingen — hauptsächlich Brot und Wasser — und schaute, was geschah. Ja, und was geschah? Nach gut sechs Monaten starb er an Skorbut, ohne dass er hilfreiche Schlussfolgerungen hätte ziehen können. Etwa zur gleichen Zeit führte James Lind, ein Marinearzt, einen wissenschaftlich präziseren (und für ihn persönlich weniger riskanten) Versuch durch. Er teilte zwölf Seeleute, die schon Skorbut hatten, je zu zweit in sechs Gruppen und gab jedem Paar ein mutmaßliches Heilmittel, dem einen Essig, dem anderen Knoblauch und Senf, dem dritten Orangen und Zitronen und so weiter. Fünf Paare zeigten keinerlei Besserung, doch das Paar, das Orangen und Zitronen bekommen hatte, erholte sich rasch und vollständig. Erstaunlicherweise entschied sich Lind dafür, die Ergebnisse zu ignorieren, und hielt stur an seiner Überzeugung fest, dass Skorbut von unvollständig verdautem Essen verursacht werde, das Gifte im Körper bilde.
    Dem großen Kapitän James Cook war es beschieden, die Überlegungen in die richtigen Bahnen zu lenken. Bei seiner Weltumsegelung von 1768 bis 1771 nahm er eine Reihe Antiskorbutika mit, um damit zu experimentieren, unter anderem dreißig Gallonen (ca. 110 Liter) Karottenmus und etwa fünfundvierzig Kilo Sauerkraut für jedes Mitglied seiner Crew. Nicht ein Einziger starb an Skorbut — ein Wunder, das ihn ebenso wie seine Entdeckung Australiens oder irgendeine andere seiner Leistungen auf dieser heroischen Fahrt zum Nationalhelden machte. Die Royal Society, die bedeutendste wissenschaftliche Institution Großbritanniens, war so beeindruckt, dass sie ihm die Copley-Medaille, ihre höchste Auszeichnung, verlieh. Die britische Marine reagierte leider nicht so schnell. Trotz aller Beweise blieb sie noch eine Generation lang stur und versorgte erst dann alle Seeleute routinemäßig mit Zitrusfrüchten.
    Auch die Erkenntnis, dass eine mangelhafte Ernährung nicht nur Ursache von Skorbut, sondern vieler »ganz normaler« Krankheiten war, kam erstaunlich spät. Erst 1897 merkte der auf Java tätige holländische Arzt Christiaan Eijkman, dass Menschen, die Vollkornreis aßen, nicht an Beriberi erkrankten, einer komplexen Erkrankung der Nerven, des Herzens, des Kreislaufs und der Muskulatur. Menschen, die geschälten Reis aßen, bekamen sie oft. Eindeutig war in einigen Nahrungsmitteln etwas oder mehreres, das in anderen nicht, aber ausschlaggebend für Gesundheit oder Krankheit war. Langsam und allmählich begann man sogenannte Mangelkrankheiten zu verstehen, obwohl Eijkman noch keine Ahnung hatte, was sich wie auswirkte. (Viel später, 1929, erhielt er den Nobelpreis für Medizin.)
    Der große Durchbruch kam 1912, als Casimir Funk, ein polnischer Biochemiker am Lister Institute in London, Thiamin oder Vitamin B1, als das es heute eher bekannt ist,

Weitere Kostenlose Bücher