Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
Schritten drohen, und die Arbeiten am Nostell Priory, einem Landhaus in Yorkshire, stellte er ein, als sich die offenen Rechnungen auf 6838 Pfund beliefen — irrsinnige Außenstände. »Ich habe keine einzige Guinee, um morgen meine Arbeiter zu entlohnen«, schrieb Chippendale einmal verzweifelt. Die meiste Zeit seines Lebens war er von akuten Geldsorgen geplagt und hatte wohl nur seltene Momente der Ruhe. Als er 1799 starb, betrug sein persönlicher Besitz gerade einmal 28 Pfund, 2 Shilling und 9 Pence; dafür hätte er sich nicht mal einen bescheidenen Topf Goldbronze aus seinen eigenen Ausstellungsräumen leisten können. Unter der Leitung des Sohnes kämpfte die Firma noch ein wenig weiter, musste aber 1804 Konkurs anmelden.
Die Welt nahm kaum Notiz von Chippendales Tod. In keiner Zeitung erschien ein Nachruf. Vierzehn Jahre später schrieb Sheraton über Chippendales Modelle, »sie seien nun ganz antiquiert und aufgegeben«. Ende des neunzehnten Jahrhunderts war sein Ruhm so gesunken, dass er in der ersten Ausgabe des Dictionary of National Biography gerade mal einen Absatz bekam, viel weniger als Sheraton oder Hepplewhite und noch dazu abwertend. Vieles war auch falsch. Der Autor des Eintrags hatte so wenig Interesse an Chippendales Lebensdaten, dass er ihn aus Worcestershire und nicht Yorkshire kommen ließ.
Überragenden Erfolgs konnten sich Sheraton (1751-1806) und Hepplewhite (1727?-1786) indes auch nicht rühmen. Hepplewhites Laden war in einem schäbigen Londoner Stadtteil, in Cripplegate, und er selbst so wenig bekannt, dass ihn seine Zeitgenossen abwechselnd Kepplewhite und Hebblethwaite nannten. Über sein Privatleben weiß man beinahe nichts. Ja, er war sogar schon zwei Jahre tot, als sein Musterbuch veröffentlicht wurde. Sheratons Schicksal war noch kurioser. Offenbar hat er nie einen Laden eröffnet, und man hat auch nie ein Möbelstück gefunden, das ihm zugeschrieben werden konnte. Vielleicht hat er nie Möbel hergestellt, sondern nur als Zeichner und Designer gearbeitet. Obwohl sich sein Buch gut verkaufte, ist er anscheinend nicht reich davon geworden, denn er musste sein Einkommen durch Zeichen- und Perspektivzeichenunterricht aufbessern. Irgendwann gab er das Möbelentwerfen auf, ließ sich zum Pfarrer einer nonkonformistischen Sekte namens Narrow Baptists ausbilden und wurde im Grunde ein Straßenprediger. Er starb 1806 völlig heruntergekommen in London, »inmitten von Dreck und Ungeziefer«, und hinterließ eine Frau und zwei Kinder.
Als Möbelhersteller waren Chippendale und seine Zeitgenossen zweifellos Meister ihres Fachs, doch sie hatten einen Vorteil, den man heute nicht mehr hat: Sie konnten das feinste Holz für Möbel benutzen, das es gab, eine Mahagoniart, das Swietenia mahogani. Es wuchs nur in der Karibik, auf Kuba und Hispaniola (der Insel, auf der sich heute Haiti und die Dominikanische Republik befinden), und ist, was Sattheit der Farbe, Eleganz und Brauchbarkeit betrifft, ohnegleichen. Die Nachfrage war so groß, dass es fünfzig Jahre nach seiner Entdeckung nichts mehr davon gab — und es jetzt unwiederbringlich ausgestorben ist. Es existieren noch um die zweihundert andere Mahagoniarten auf Erden, und das Holz der meisten ist auch sehr gut, doch an die satte, dunkle Farbe und wunderbare Verarbeitbarkeit des entschwundenen S. mahogani kommen sie nicht heran. Vielleicht bringt die Welt eines Tages bessere Stuhlmacher als Chippendale und seinesgleichen hervor, aber sicher keine feineren Stühle.
Merkwürdigerweise wurde das ewig lange nicht anerkannt. So mancher Chippendale-Stuhl und andere Möbelstücke von ihm, die heute schier unbezahlbar sind, fristeten ihr Dasein in den Dienstbotenräumen und wurden erst vor gut hundert Jahren wiederentdeckt und aus der Verbannung geholt. Insgesamt hat man etwa sechshundert Chippendale-Möbelstücke identifiziert. Andere, die ausrangiert wurden oder beim Verkauf eines Hauses mit Inventar verschwanden, könnten heute leicht unbemerkt in einem Landhäuschen oder einem Vorortheim stehen und wären kostbarer als das Gebäude, in dem sie sich befinden.
Wenn wir in der Zeit zurückgehen würden, in ein Haus aus Chippendales Tagen, würde uns sofort ein Unterschied ins Auge fallen: Stühle und sonstige Möbelstücke standen im Allgemeinen an der Wand; uns wären die Zimmer wie Wartezimmer vorgekommen.
Umgekehrt hätten Menschen aus dem achtzehnten und beginnenden neunzehnten Jahrhundert Stühle oder Tische in der Mitte eines Zimmers als
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