Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge
isolierte. Als er begriff, dass es zu einer Familie von stickstoffhaltigen Verbindungen (den Aminen) gehörte, kombinierte er die Begriffe »vita« und »Amine« zu dem neuen Wort »Vitamine« (mit »e« im Singular). Obwohl Funk, was das Vitale betraf, recht hatte, waren nur einige der Vitamine Amine, und er änderte den Namen in »Vitamin«, um ihn »weniger deutlich inakkurat« zu machen, wie es Anthony Smith so nett ausgedrückt hat.
Funk behauptete auch, dass es eine direkte Korrelation zwischen einem Mangel an bestimmten Aminen und dem Eintreten einer bestimmten Krankheit gab, besonders von Skorbut, Pellagra (bei einseitiger Ernährung mit Mais oder Sorghumhirse) und Rachitis (bei akutem Vitamin-D-Mangel). Das war eine grandiose Erkenntnis; nun bestand die Möglichkeit, Millionen bedrohter Leben zu retten, doch leider handelte man nicht danach. Das führende Medizinlehrbuch der Zeit behauptete weiterhin steif und fest, Skorbut werde durch eine ganze Anzahl von Faktoren verursacht — »unhygienische Lebensverhältnisse, Überarbeitung, Niedergeschlagenheit sowie Kälte und Feuchtigkeit« fand der Autor der Auflistung wert — und nur selten von Ernährungsmängeln. Ja, schlimmer noch, 1917 erklärte der führende Ernährungswissenschaftler der Vereinigten Staaten, E.V. McCollum von der University of Wisconsin — der Mann, der letztendlich die Begriffe Vitamin A und B prägte —, dass Skorbut überhaupt keine Mangelkrankheit sei, sondern von Verstopfung verursacht werde.
1939 beschloss endlich ein Arzt der Harvard Medical School, John Crandon, die Sache ein für alle Mal zu klären, indem er Vitamin C aus seiner Ernährung strich, bis er richtig, richtig krank wurde. Was überraschend lang dauerte. In den ersten achtzehn Wochen war er nur extrem müde (operierte aber fleißig weiter). In der neunzehnten Woche dann ging es ihm urplötzlich schlechter, und zwar so sehr, dass er garantiert gestorben wäre, wenn er nicht unter strenger ärztlicher Aufsicht gestanden hätte. Man injizierte ihm eintausend Milligramm Vitamin C, und binnen Kurzem war er wieder unter den Lebenden. Interessanterweise hatte er genau die Symptome nicht, die man allgemein mit Skorbut assoziiert: Weder waren ihm die Zähne ausgefallen, noch hatte ihm das Zahnfleisch geblutet.
In der Zwischenzeit stellte sich heraus, dass Funks Vitamine eine nicht halb so einheitliche Gruppe bildeten, wie ursprünglich gedacht. Vitamin B erwies sich als nicht ein Vitamin, sondern mehrere, und darum haben wir heute B1, B2 und so weiter. Um die Verwirrung noch größer zu machen, heißt Vitamin K nicht aus Gründen der alphabetischen Reihenfolge so, sondern weil sein dänischer Entdecker, Henrik Dam, es wegen seiner Rolle bei der Blutgerinnung Koagulationsvitamin nannte. Später wurde der Vitamin-B-Gruppe noch die Folsäure zugeschlagen (manchmal auch Vitamin B9 genannt; der Begriff Folsäure ist aber am gebräuchlichsten). Zwei andere Vitamine — Pantothensäure und Biotin — sind nicht sonderlich auffällig, doch weitgehend aus dem Grund, weil sie uns selten Probleme machen.
Die Vitamine sind, in einem Satz, ein ungebärdiger Haufen und schon per definitionem unmöglich unter einen Hut zu bringen. Die übliche Lehrbuchdefinition ist, dass ein Vitamin »ein organisches Molekül [ist], das nicht im menschlichen Körper entsteht, aber in geringen Mengen nötig ist, um den normalen Stoffwechsel aufrechtzuerhalten«. Vitamin K2 entsteht aber sehr wohl im Körper, Bakterien im Darm produzieren es. Vitamin D, eines der wichtigsten überhaupt, ist in Wirklichkeit ein Hormon, und wir nehmen den Hauptteil davon nicht durch die Nahrung auf, sondern bilden es durch das magische Wirken von Sonnenlicht in unserer Haut.
Vitamine sind auch kurios. Zunächst einmal ist es komisch, dass wir sie nicht selbst erzeugen können, obwohl wir für unser Wohlergehen absolut abhängig von ihnen sind. Wenn eine Kartoffel Vitamin C produzieren kann, warum wir dann nicht? Im Königreich der Tiere können nur Menschen und Meerschweinchen kein Vitamin C in ihrem Körper bilden. Wieso wir und Meerschweinchen nicht? Fragen zwecklos. Keiner weiß es. Weiterhin bemerkenswert bei Vitaminen ist das gewaltige Missverhältnis zwischen Dosis und Wirkung. Schlicht ausgedrückt: Wir brauchen Vitamine oft, aber gar nicht viel davon! Drei Unzen (85,05 Gramm) Vitamin A, gleichmäßig und fein verteilt, halten einen ein Leben lang am Schnurren. Vom B1 braucht man noch weniger — gerade mal eine
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