Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
und Punier verlangen Gleichberechtigung mit den Römern unter Berufung auf gemeinsame römische Werte.
Ägypter, Iraner und Berber verlangen Gleichberechtigung mit den Arabern unter Berufung auf gemeinsame islamische Werte.
Inder, Chinesen und Afrikaner verlangen Gleichberechtigung mit den Europäern unter Berufung auf gemeinsame westliche Werte.
Die ursprünglichen Gründer des Imperiums verlieren ihre Vorherrschaft.
Die Römer verlieren ihre Identität als einmalige ethnische Gruppierung. Die Kontrolle über das Reich geht auf eine neue multiethnische Elite über.
Die Araber verlieren die Vorherrschaft über die muslimische Welt, die Macht geht auf eine neue multiethnische und islamische Elite über.
Die Europäer verlieren ihre Vorherrschaft über die globalisierte Welt, die Macht geht an eine neue multiethnische Elite über, die sich westlichen Werten und Denkweisen verpflichtet fühlt.
Die Kultur des Imperiums blüht und entwickelt sich weiter.
Illyrier, Gallier und Punier entwickeln die angenommene römische Kultur weiter.
Ägypter, Iraner und Berber entwickeln die angenommene muslimische Kultur weiter.
Inder, Chinesen und Afrikaner entwickeln die angenommene europäische Kultur weiter.
Die Guten und die Bösen
Die Versuchung ist groß, die Geschichte fein säuberlich in »Gute« und »Böse« einzuteilen und alle Weltreiche zu den Bösen zu stecken. Schließlich wurden die meisten unter großem Blutvergießen erobert und durch fortgesetztes Unrecht verteidigt. Doch die meisten Kulturen der Gegenwart wurden auf dem Erbe des einen oder anderen Weltreichs begründet – wenn alle Imperien automatisch schlecht sind, was sagt das dann über uns?
An Universitäten und in der Politik wird gern versucht, die menschliche Kultur vom bösen imperialistischen Erbe zu läutern und zu den guten, vermeintlich ursprünglichen Kulturen zurückzukehren. Das ist bestenfalls naiv und schlimmstenfalls Ausdruck eines bigotten Nationalismus. Es gibt keine wirklich ursprünglichen Kulturen mehr. Alle Kulturen stehen zumindest teilweise auf den Schultern von Imperien, und keine wissenschaftliche oder politische Operation kann das imperiale Erbe entfernen, ohne den Patienten gleich mit zu töten.
Nehmen wir zum Beispiel die Hassliebe, die das heutige Indien mit der britischen Kolonialherrschaft verbindet. Die Eroberung und Kolonialisierung des indischen Subkontinents durch die Engländer kostete Millionen Inder das Leben und war verantwortlich für die fortgesetzte Erniedrigung und Ausbeutung des Landes. Die Inder, die sich mit dem Eifer von Bekehrten westliche Werte wie den Rechtsstaat, das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die Menschenrechte angeeignet hatten, waren bitter enttäuscht, als die Briten sich weigerten, nach ihren eigenen Werte zu handeln und ihnen Gleichberechtigung oder gar die Unabhängigkeit zuzugestehen.
Trotzdem kann das moderne Indien das britische Erbe nicht leugnen. Obwohl die Kolonialherrschaft Leid und Elend über den Subkontinent brachte, lässt sich nicht bestreiten, dass es die Briten waren, die Indien aus einem verwirrenden Flickenteppich von zerstrittenen Königreichen, Fürstentümern und Stämmen zu einem Land zusammenfügten. Sie legten den Grundstein für das Rechtssystem, die Verwaltung und die Eisenbahn im unabhängigen Indien. Die indische Demokratie geht auf das britische Vorbild zurück. Englisch ist nach wie vor die Sprache der Bildungselite und eine neutrale Brücke zwischen den verschiedenen Regionalsprachen. Ihren Nationalsport Cricket haben die Inder von den Kolonialherren geerbt, genau wie das Nationalgetränk Tee (Chai). Es war die Britische Ostindien-Gesellschaft, die den Tee von China nach Indien holte und Mitte des 19. Jahrhunderts mit dem kommerziellen Teeanbau begann, und es waren die britischen Sahibs, die den Brauch des Teetrinkens auf den Subkontinent brachten.
Vermutlich würde heute kaum jemanden in Indien auf die Demokratie, die englische Sprache, die Eisenbahn, den Rechtsstaat, Cricket oder Chai verzichten wollen, nur weil es sich um ein Erbe des Empire handelt. Und selbst wenn man das wollte, wäre eine demokratische Abstimmung über diese Fragen nur wieder ein Tribut an die ehemaligen Kolonialherren.
19. Der Chhatrapati Shivaji-Terminus von Mumbai, der seine Existenz als Victoria-Terminus in Bombay begann. Die Briten errichteten diesen Bahnhof im neogotischen Stil, der sich im 19. Jahrhundert großer Beliebtheit erfreute. Die nationalistische Regierung Indiens
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