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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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der Regel Mischkulturen hervor, die dem Einfluss der eroberten Völker viel zu verdanken haben. Die Kultur des Römischen Reichs war beispielsweise fast so griechisch wie römisch. Die Kultur des Abbasidenreichs speiste sich aus persischen, griechischen und arabischen Quellen. Und das Mongolenreich war eine Kopie des chinesischen Kaiserreichs.
    Diese Mischung erleichterte den eroberten Völkern die Anpassung keineswegs. Die Kultur des Imperiums bediente sich zwar bei verschiedenen besiegten Völkern, doch die daraus entstehende hybride Kultur war der überwiegenden Mehrheit der Untertanen trotzdem fremd. Der Prozess der Assimilation war oft schmerzhaft. Es ist immer schwer, vertraute und lieb gewonnene eigene Traditionen aufzugeben und eine neue Kultur zu verstehen und zu übernehmen. Schlimmer noch, selbst wenn es einem unterworfenen Volk gelang, sich die Kultur des Imperiums anzueignen, konnten noch Jahrzehnte oder Jahrhunderte vergehen, ehe es von der herrschenden Elite als »einer von uns« anerkannt wurden. Die Generationen zwischen der Eroberung und der Anerkennung standen vor verschlossenen Türen. Sie hatten ihre eigene Kultur verloren, aber gleichberechtigte Partner der neuen Kultur waren sie damit noch lange nicht. Im Gegenteil, sie wurden weiter als »Barbaren« behandelt.
    Stellen Sie sich einen Kelten aus einer angesehenen Familie vor, der einige Generationen nach dem Fall von Numantia im Norden der Iberischen Halbinsel lebt. Mit seinen Eltern spricht er einen keltischen Dialekt, mit seinen Geschäftspartnern und den Behörden kommuniziert er in tadellosem Latein. Seiner Frau schenkt er schnörkeligen keltischen Goldschmuck, obwohl er sich ein bisschen dafür schämt und es lieber sähe, wenn sie den schlichten Schmuck der Frau des römischen Gouverneurs tragen würde. Er selbst trägt die römische Tunika. Da er sich im römischen Handelsrecht auskennt, hat er als Viehhändler ein kleines Vermögen verdient und sich eine römische Villa gebaut. Aber obwohl er römische Literatur liest und Teile von Vergils Georgica auswendig gelernt hat, bleibt er in den Augen der Römer immer ein Barbar. Frustriert muss er einsehen, dass er nie einen Posten in der Verwaltung bekommen und im Theater immer auf den schlechten Plätzen sitzen wird.
    Genau diese Lektionen mussten viele gebildete Inder Ende des 19. Jahrhunderts von ihren britischen Herren lernen. Einer davon sollte später berühmt werden. Als ehrgeiziger junger Mann vertiefte er sich in die Feinheiten der englischen Sprache, nahm Tanzstunden und lernte den Umgang mit Messer und Gabel. Mit besten Manieren ausgestattet, studierte er Jura am University College in London und schloss sein Studium als Rechtsanwalt ab. Angetan mit Anzug und Krawatte wurde dieser junge Mann in der britischen Kolonie Südafrika aus dem Zug geworfen, weil er darauf bestand, in der ersten Klasse zu reisen, statt sich mit der für »Farbige« bestimmten dritten Klasse zufriedenzugeben. Der Mann hieß Mohandas Karamchand Gandhi, und er sollte diese Lektion nie vergessen.
    In einigen Fällen fiel die Mauer zwischen den assimilierten Neuankömmlingen und der alten Elite. Die Eroberten betrachteten das Imperium nicht mehr als fremde Besatzungsmacht und die Eroberer behandelten die Untertanen als Gleichberechtigte. Aus »den anderen« wurde allmählich »wir«. So erhielten die von Rom eroberten Völker irgendwann das Bürgerrecht, und die Generäle, Senatoren und sogar Kaiser konnten aus den unterschiedlichsten ethnischen Gruppen rekrutiert werden. Im Jahr 48 holte Kaiser Claudius einige gallische Adelige in den Senat, die »durch Gewohnheiten, Kultur und Heirat eins mit uns geworden sind«, wie er in einer Rede sagte. Einige Senatoren protestierten dagegen, dass die einstigen Feinde des Reichs nun an den Schalthebeln der Macht sitzen sollten. Doch Claudius erinnerte sie an eine unangenehme Wahrheit: Die meisten der Senatorenfamilien gingen auf italienische Stämme zurück, die einst gegen Rom gekämpft und später die römische Staatsbürgerschaft erhalten hatten. Die Familie des Kaisers selbst hatte sabinische Vorfahren. 67
    Während des zweiten Jahrhunderts wurde Rom von einer Reihe von Kaisern regiert, die von der iberischen Halbinsel stammten und in deren Adern vermutlich ein paar Tropfen keltischen Blutes flossen. Das Zeitalter der iberischen Kaiser – Trajan, Hadrian, Antoninus Pius und Mark Aurel – wird oft als das Goldene Zeitalter des Römischen Reichs bezeichnet. Danach

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