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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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brachen alle ethnischen Dämme. Kaiser Septimius Severus (193–211) stammte aus einer punischen Familie aus Libyen. Algebalus (218–222) war Syrer. Kaiser Philip (244–249) wurde weithin »Philip der Araber« genannt. Die neuen Bürger übernahmen die Kultur des Imperiums mit solchem Eifer, dass sie auch noch Jahrhunderte und Jahrtausende nach dessen Untergang seine Sprache sprachen, an seinen Gott glaubten und seine Gesetze befolgten.
    Der Prozess wiederholte sich im Arabischen Weltreich. Zur Zeit der Eroberung Mitte des 7. Jahrhunderts trennten die Herrscher noch streng zwischen der arabisch-muslimischen Elite und den unterworfenen Ägyptern, Syrern, Iranern und Berbern, die weder Araber noch Muslime waren. Viele der Untertanen traten schließlich zum Islam über, lernten Arabisch und übernahmen die hybride Kultur des Imperiums. Die alte arabische Elite betrachtete diese Emporkömmlinge mit Misstrauen und fürchtete um ihren Status und ihre Identität. In ihrer Enttäuschung forderten die Bekehrten einen gleichberechtigten Anteil am Imperium und der islamischen Welt. Schließlich setzten sie sich durch. Ägypter, Syrer und Mesopotamier wurden zunehmend als »Araber« akzeptiert. Und die Araber – die »ursprünglichen« Araber von der arabischen Halbinsel genau wie die frischgebackenen Araber aus Ägypten und Syrien – gerieten wiederum immer stärker unter den Einfluss nicht-arabischer Muslime, allen voran Iraner, Türken und Berber. Das arabische Projekt war deshalb so erfolgreich, weil sich zahlreiche nicht-arabische Völker die Kultur des Imperiums begeistert zu Eigen machten und sie beibehielten, weiterentwickelten und verbreiteten, nachdem das Reich längst untergegangen war und die ethnische Gruppe der Araber ihre Vorherrschaft verloren hatte.
    In China feierte das Reichsprojekt sogar noch größere Erfolge. Über mehr als zwei Jahrtausende hinweg wurde ein buntes Sammelsurium von ethnischen Gruppierungen, die zunächst als Barbaren galten, erfolgreich in die Kultur des Imperiums integriert und zu Han-Chinesen (benannt nach der Han-Dynastie, die China von 206 vor bis 220 nach Beginn unserer Zeitrechnung beherrschte). Im Grunde besteht dieses Reich bis heute, auch wenn man nur in Randgebieten wie Tibet und Xinjiang erkennt, dass es sich um ein Imperium handelt. Mehr als 90 Prozent aller Einwohner Chinas gelten heute als Han-Chinesen.
    Auch der Prozess der Entkolonialisierung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lässt sich so verstehen. Nach dem Beginn der Neuzeit brachten die Europäer weite Teile der Erde unter ihre Kontrolle und rechtfertigten dies mit der Verbreitung der westlichen Zivilisation. Dabei waren sie so erfolgreich, dass sich Milliarden von Menschen zentrale Aspekte dieser Zivilisation aneigneten. Inder, Afrikaner, Araber, Chinesen und Maoris lernten Französisch oder Englisch. Sie glaubten an Menschenrechte und das Selbstbestimmungsrecht der Völker und übernahmen westliche Ideologien wie den Liberalismus, Kapitalismus, Kommunismus, Feminismus und Nationalismus.
    Während des 20. Jahrhunderts beriefen sich die Gruppen, die sich westliche Werte zu Eigen gemacht hatten, auf genau diese Werte, um die Gleichstellung mit ihren europäischen Eroberern einzufordern. Viele Kämpfe gegen die Kolonialherren wurden unter dem Banner der Selbstbestimmung, des Sozialismus oder der Menschenrechte geführt, die durchweg aus dem Westen stammen. Genau wie die Ägypter, Iraner und Türken die von den arabischen Eroberern geerbte Kultur weiterentwickelten, tragen auch die Inder, Afrikaner und Chinesen die Kultur ihrer früheren Kolonialherren fort.
    Der Lebenszyklus der Imperien
Stadium
Rom
Islam
Europäischer
Imperialismus
Eine kleine Gruppe errichtet ein großes Imperium.
Die Römer begründen das Römische Reich.
Die Araber errichten das arabische Kalifat.
Europäische Nationen erobern Kolonialreiche.
Das Imperium entwickelt seine eigene Kultur.
Griechisch-römische Kultur
Arabisch-islamische Kultur
Europäische Kultur
Die Kultur des Imperiums wird von den unterworfenen Völkern übernommen.
Die unterworfenen Völker sprechen Latein und übernehmen das römische Recht, römische Politikvorstellungen usw.
Die unterworfenen Völker sprechen Arabisch, konvertieren zum Islam usw.
Die unterworfenen Völker sprechen Englisch und Französisch und übernehmen Sozialismus, Nationalismus, Menschenrechte usw.
Die unterworfenen Völker verlangen Gleichberechtigung im Namen der Werte des Imperiums.
Illyrier, Gallier

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