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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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monotheistischen Religionen lautet: »Gott existiert. Was will er von mir?« Und der erste Glaubenssatz der Buddhisten lautet: »Das Leid existiert. Wie befreie ich mich von ihm?«
    Der Buddhismus streitet die Existenz von Göttern keineswegs ab. Götter sind mächtige Wesen, die Regen und militärische Erfolge bringen können, aber sie haben keinerlei Macht über das Dharma. Leid und Glück entspringen einem unumstößlichen Naturgesetz, das vollkommen unabhängig von den Göttern gilt. Wenn wir uns vom Leiden befreien, kann uns auch kein Gott mehr etwas anhaben. Und wenn wir von unseren Begierden beherrscht werden, kann uns kein Gott der Welt vom Leid befreien.
    Aber genau wie die monotheistischen Religionen konnten sich auch vormoderne »Naturgesetz-Religionen« wie der Buddhismus nie völlig von den Göttern und Geistern frei machen. Der Buddhismus erkannte ihre Existenz an und gestand ihnen zu, dass sie Regen und Siege bringen konnten, doch er betonte, das Ziel der Menschen solle die Befreiung von Leid sein, und nicht Zwischenziele wie Reichtum und Macht. Da jedoch die wenigsten Buddhisten in diesem oder im nächsten Leben ins Nirwana eingingen und sich nach wie vor Regen und Siege wünschten, zogen sie weltlichere Ziele vor. Daher verehrten sie ihre verschiedenen Gottheiten weiter: in Indien den hinduistischen Pantheon, in Tibet die Geister der Bön-Religion und in Japan die kami des Shintoismus.
    Daneben erfanden verschiedene buddhistische Sekten im Laufe der Zeit ihren eigenen Pantheon von Buddhas und Bodhisattvas. Dabei handelt es sich um menschliche und nicht-menschliche Wesen, die erleuchtet wurden und aus Mitgefühl nicht ins Nirwana eingehen, sondern den zahllosen anderen Wesen helfen, die noch immer im Leid gefangen sind. Anstelle der Götter verehren viele Buddhisten diese erleuchteten Wesen und bitten sie um Hilfe – allerdings nicht nur, um Eingang ins Nirwana zu finden, sondern auch bei irdischen Problemen. Deshalb begegnen wir heute in ganz Ostasien Buddhas und Bodhisattvas, die Regen bringen, Krankheiten heilen und sogar blutige Kriege gewinnen und dafür mit Gebeten, Blumen, Weihrauch, Reis und Süßigkeiten belohnt werden.
    Die Anbetung des Menschen
    Die vergangenen drei Jahrhunderte werden oft als Zeitalter der Säkularisierung beschrieben, das heißt, eine Epoche also, in der Religionen immer mehr an Bedeutung verloren. Wenn wir unter Religion den Glauben an einen oder mehrere Götter verstehen, dann trifft das sogar beinahe zu. Wenn wir jedoch die Naturgesetz-Religionen hinzunehmen, dann ist die Moderne ein neues religiöses Zeitalter, das sich durch beispiellosen Missionierungseifer und blutige Religionskriege auszeichnet. Die Moderne erlebte den Aufstieg zahlreicher neuer Naturgesetz-Religionen, zum Beispiel des Liberalismus, des Kommunismus, des Kapitalismus, des Nationalismus und des Nationalsozialismus. Die Anhänger dieser Religionen reagieren zwar sehr allergisch auf das Wort »Religion« und bezeichnen sie lieber »Ideologien«. Doch das ist lediglich ein Wortspiel, denn die modernen Ideologien sehen den traditionellen Religionen zum Verwechseln ähnlich. Wenn eine Religion ein System von Werten und Normen ist, das sich auf eine übermenschliche Ordnung beruft, dann ist der Kommunismus genauso eine Religion wie der Islam.
    Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen dem Islam und dem Kommunismus, denn der Islam ist der Ansicht, dass diese übermenschliche Ordnung von einem allmächtigen Gott geschaffen wurde, während der Kommunismus nicht an Götter glaubt. Aber auch der Buddhismus hält nicht allzu viel von Göttern und wird trotzdem gemeinhin als Religion bezeichnet. Wie die Buddhisten glaubten die Kommunisten, die Geschichte werde von einer übermenschlichen Ordnung von unumstößlichen Naturgesetzen gelenkt, aus denen sich wiederum Regeln für das menschliche Verhalten ableiten. Während die Buddhisten glauben, dass Siddhartha Gautama diese Gesetze entdeckt hatte, sehen Kommunisten Karl Marx, Friedrich Engels und Wladimir Illjitsch Lenin als ihre Religionsstifter. Doch die Parallelen gehen noch weiter. Wie andere Religionen hat auch der Kommunismus seine heiligen Bücher und prophetischen Schriften, allen voran Das Kapital von Karl Marx. Er hat seine eigenen Fest- und Feiertage, zum Beispiel den Tag der Arbeit am 1. Mai; seine Theologen, die sich mit der Auslegung der marxistischen Lehre beschäftigten; seine Priester, die als Parteikommissare bezeichnet wurden (jede Einheit

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