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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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der Roten Armee hatte einen Kaplan namens Kommissar, der darauf achtete, dass die Soldaten und Offiziere nicht vom Glauben abfielen); seine Märtyrer; seine Heiligen Kriege und sogar seine Ketzer, zum Beispiel die Trotzkisten. Der Sowjetkommunismus war eine fanatische Religion, die die ganze Welt missionieren wollte. Gläubige Kommunisten konnten nicht gleichzeitig Christen oder Buddhisten sein und mussten den Glauben an Marx und Lenin um jeden Preis verbreiten, selbst wenn sie ihr Leben dabei aufs Spiel setzten.

    Eine Religion ist ein System menschlicher Werte und Normen, das auf dem Glauben an eine übermenschliche Ordnung basiert. Die Relativitätstheorie ist keine Religion, da sie keine Werte und Normen hervorgebracht hat (zumindest noch nicht). Fußball ist keine Religion, da seine Regeln nicht auf übermenschliche Gebote zurückgehen. Der Islam, der Buddhismus und der Kommunismus sind dagegen Religionen, weil es sich um Systeme menschlicher Werte und Normen handelt, die auf dem Glauben an eine übermenschliche Ordnung basieren. (Beachten Sie hier den Unterschied zwischen »übermenschlich« und »übernatürlich«; das Naturgesetz der Buddhisten und die historischen Gesetze der Marxisten sind zwar übermenschlich, da sie nicht von Menschen gemacht wurden, doch sie sind nicht übernatürlich.)
    Wenn Ihnen bei dieser Argumentation unwohl ist, können Sie den Kommunismus gern als Ideologie bezeichnen – es macht keinen Unterschied. Wir können zwischen »klassischen Religionen« und Ideologien unterscheiden: die einen beten Götter an und die anderen beruhen auf Naturgesetzen. Der Stimmigkeit halber sollten wir dann allerdings auch Buddhismus, Taoismus und Stoizismus zu den Ideologien zählen. Und umgekehrt müssen wir festhalten, dass sich der Götterglaube auch in einigen modernen Ideologien hält, und dass sich einige, allen voran der Liberalismus, ohne diesen gar nicht verstehen lassen.
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    Es wäre völlig unmöglich, hier einen Überblick über die Geschichte aller modernen Religionen zu geben, zumal sie sich gar nicht so einfach auseinanderhalten lassen. Sie sind nicht weniger synkretistisch wie Monotheismus und der Buddhismus. So wie ein Buddhist die Götter der Hindus verehren und ein Monotheist an die Existenz des Teufels glauben konnte, so kann ein typischer Bürger der Vereinigten Staaten gleichzeitig Nationalist, Kapitalist und liberaler Humanist sein und an die Vereinigten Staaten, die Unsichtbare Hand des Marktes und an die Menschenrechte glauben. Auf den Kapitalismus und Nationalismus gehen wir in Kapitel 16 und 18 ein; die letzten Seiten dieses Kapitels sind den humanistischen Religionen gewidmet.
    Theistische Religionen verehren Götter (deshalb werden sie »theistisch« genannt, vom griechischen Wort theos für Gott). Humanistische Religionen verehren dagegen den Homo sapiens . Der Humanismus vertritt den Glauben, der Homo sapiens habe eine einmalige und heilige »menschliche Natur«, die sich grundlegend von der Natur aller anderen Tiere unterscheide. Für Humanisten ist die einmalige Natur des Homo sapiens der Mittelpunkt der Welt, der allem, was im Universum vor sich geht, Sinn und Bedeutung verleiht. Das höchste Gut ist das Wohl des Homo sapiens . Der Rest der Welt und alle anderen Lebewesen existieren ausschließlich, um das Wohl dieser Art zu mehren.
    Zwar verehren alle Humanisten den Menschen, doch sie können sich nicht darauf einigen, was den Menschen genau ausmacht. Daher hat sich der Humanismus in drei Fraktionen aufgespalten, die sich über die genaue Definition des Begriffs »Mensch« streiten, genau wie sich rivalisierende christliche Sekten über die genaue Definition des Begriffs »Gott« streiten. Heute sind die wichtigste humanistische Splittergruppe die »liberalen Humanisten«, die glauben, dass die menschliche Natur eine Eigenschaft des einzelnen Menschen ist. Nach Ansicht der liberalen Humanisten wohnt diese heilige menschliche Natur jedem einzelnen Homo sapiens inne. Das Wesen des einzelnen Menschen gibt der Welt Sinn und Bedeutung, von ihm geht alle moralische und politische Autorität aus. Wenn wir vor einem moralischen oder politischen Dilemma stehen, sollten wir in uns hineinhorchen, denn dort spricht die Stimme der menschlichen Natur. Die obersten Gebote des liberalen Humanismus zielen darauf, diese heilige innere Stimme vor Schaden zu bewahren. Diese Gebote werden gemeinhin als »Menschenrechte« bezeichnet.
    Deshalb lehnen liberale Humanisten zum Beispiel Folter

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