Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
widerstreitende, aber nicht allmächtige Kräfte. Aber Menschen verfügen über die wunderbare Fähigkeit, völlig widersprüchliche Dinge zu glauben, und daher schaffen es Abermillionen gläubiger Christen, Muslime und Juden spielend, gleichzeitig an einen allmächtigen Gott und einen unabhängigen Teufel zu glauben.
Die dualistische Sicht hat natürlich auch ihre Nachteile. Sie bietet zwar eine einfache Antwort auf die Frage nach dem Bösen, aber sie hat keine Antwort auf das Problem der Ordnung. Wenn es zwei widerstreitende Kräfte gibt, von denen eine gut und die andere böse ist, wer stellt dann die Regeln für den Kampf zwischen den beiden auf? Zwei rivalisierende Staaten können einander bekämpfen, weil es Raum und Zeit gibt und beide den Gesetzen der Physik unterliegen. Eine Rakete, die in Pakistan abgefeuert wird, kann Ziele in Indien treffen, weil in beiden Ländern die gleichen physikalischen Gesetze gelten. Aber wenn Gut und Böse miteinander kämpfen, welchen gemeinsamen Gesetzen sind beide unterworfen, und wer hat diese Gesetze aufgestellt?
Dualisten können also das Problem des Bösen erklären, nicht aber das Problem der Ordnung. Monotheisten können dagegen das Problem der Ordnung erklären, aber nicht das Problem des Bösen. Es gibt nur eine logische Antwort auf das Dilemma: Man könnte behaupten, dass es nur einen einzigen allmächtigen Gott gibt, der das gesamte Universum erschaffen hat, und dass dieser Gott böse ist. Allerdings verspürt bis heute kaum jemand Lust, an einen solchen Gott zu glauben.
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Dualistische Religionen blühten ein Jahrtausend lang. Irgendwann vor 3500 oder 3000 Jahren wirkte in Zentralasien ein Prophet namens Zoroaster oder Zarathustra. Seine Predigten wurden von einer Generation zur nächsten weitergegeben und entwickelten sich zur wichtigsten dualistischen Religion, dem Zoroastrismus. Die Anhänger dieser Religion sahen die Welt als kosmischen Kampf zwischen dem guten Gott Ahura Mazda und dem bösen Gott Angra Mainyu. Die Menschen mussten dem guten Gott in seinem Kampf beistehen. Der Zoroastrismus war eine der zentralen Religionen im Altpersischen Reich (550 bis 350 v. u. Z.) und wurde im Neupersischen Reich (224 bis 651 u. Z.) sogar zur Staatsreligion. Er beeinflusste fast alle nachfolgenden Religionen des Nahen Ostens und Zentralasiens und färbte auf eine Reihe anderer dualistischer Religion wie die Gnosis und den Manichäismus ab.
Während des dritten und vierten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung breitete sich der Manichäismus wie ein Buschfeuer von China bis nach Nordafrika aus. Einen Moment lang schien es, als könnte dieser Glaube zur Staatsreligion des Römischen Reichs werden, und nicht das Christentum. Doch die Manichäer verloren den Kampf um die Seele des Römischen Reichs und das zoroastrische Neupersien wurde von den monotheistischen Muslimen erobert. Damit endete das dualistische Zwischenspiel. Heute gibt es lediglich in Indien und dem Nahen Osten noch eine Handvoll kleiner dualistischer Glaubensgemeinschaften. Doch der Monotheismus beseitigte den Dualismus nicht etwa. Die monotheistischen Religionen nahmen zahlreiche dualistische Vorstellungen und Praktiken in sich auf. Mehr noch, einige der zentralen Vorstellungen dessen, was wir heute Monotheismus nennen, tragen den Stempel des Dualismus.
Zum Beispiel findet sich an keiner einzigen Stelle des Alten Testaments der dualistische Glaube an die Existenz eines bösen Gottes, der gegen einen guten Gott kämpft. Das Böse schlich sich erst in Form des »Satans« in den jüdischen, christlichen und muslimischen Glauben. Und mit dem Teufel kam der Gedanke, die Menschen müssten den guten Gott im Kampf gegen seine Feinde unterstützen – und genau dieser Gedanke steckt hinter den Dschihads der Muslime und den Kreuzzügen der Christen.
Eine weitere dualistische Vorstellung, die sich vor allem in der Gnosis und im Manichäismus findet, ist die strikte Trennung zwischen Körper und Seele, Materie und Geist. Die Gnostiker und Manichäer behaupteten, der gute Gott habe die Seele und den Geist geschaffen, während Körper und Materie das Werk des Bösen seien. Demnach ist der Mensch ein Schlachtfeld im Kampf zwischen der guten Seele und dem bösen Körper. Aus streng monotheistischer Sicht ist das natürlich völliger Unsinn: Warum sollte man so strikt zwischen Körper und Seele oder Materie und Geist unterscheiden? Und warum sollte irgendjemand auf den Gedanken kommen, Körper und Materie seien böse?
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