Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
»Rasse« und verfolgten und ermordeten andere, angeblich minderwertige Gruppen wie Juden, Roma, Homosexuelle und geistig Behinderte. Sie erklärten, der Homo sapiens selbst habe sich unter den früheren Menschenarten als »überlegene« Art durchgesetzt, während »minderwertige« Arten wie der Neandertaler ausgestorben seien. Diese unterschiedlichen Arten seien zunächst nichts anderes als Rassen gewesen, die sich aufgespaltet hätten und im Laufe der Evolution unterschiedliche Wege gegangen seien. Dies könne jederzeit wieder passieren. Nach Ansicht der Nationalsozialisten hatte sich der Homo sapiens bereits in unterschiedliche Rassen mit ihren spezifischen Eigenschaften aufgespalten. Von diesen Rassen verfüge die »arische Rasse« über die besten Eigenschaften: Vernunft, Schönheit, Moral und Fleiß, weshalb sie das Potenzial habe, eine neue Rasse von Übermenschen hervorzubringen. Andere »Rassen« wie Juden und Afrikaner seien dagegen die Neandertaler von heute und hätten minderwertige Eigenschaften. Wenn sie sich fortpflanzten oder mit der arischen Rasse vermischten, hätte dies unweigerlich die Degeneration der gesamten Menschheit und das Aussterben des Homo sapiens zu Folge.
Biologen haben die kruden Rassentheorien der Nationalsozialisten längst widerlegt. Nach 1945 durchgeführte genetische Untersuchungen ergaben beispielsweise, dass die Unterschiede zwischen den verschiedenen menschlichen Entwicklungslinien deutlich geringer sind, als die Nationalsozialisten behauptet hatten. Doch diese Erkenntnisse sind jüngeren Datums. Nach dem wissenschaftlichen Kenntnisstand des Jahres 1933 waren die Vorstellungen der Nationalsozialisten keineswegs völlig absurd. Viele Angehörige der westlichen Elite glaubten an die Existenz verschiedener menschlicher Rassen, die Überlegenheit der weißen Rasse und die Notwendigkeit, diese überlegene Rasse zu schützen und zu züchten.
Damals »bewiesen« Wissenschaftler von anerkannten westlichen Universitäten mit anerkannten wissenschaftlichen Methoden, dass die Angehörigen der weißen Rasse intelligenter und geschickter seien als Afrikaner oder Inder, und dass sie über einen überlegenen Sinn für Moral verfügten. Politiker in Washington, London oder Canberra sahen ihre Aufgabe ganz selbstverständlich darin, die Vermischung und Degeneration der weißen Rasse zu verhindern, zum Beispiel indem sie die Einwanderung aus China oder Italien so weit wie möglich einschränkten.
Die Veröffentlichung neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse änderte zunächst nichts an dieser Haltung. Die Veränderung wurde erst durch den gesellschaftlichen und politischen Wandel bewirkt. In diesem Sinne schaufelte Hitler nicht nur sich selbst, sondern auch dem Rassismus ein Grab. Als er den Zweiten Weltkrieg vom Zaun brach, zwang er seine Feinde, Position zu beziehen. Gerade weil die Ideologie des Nationalsozialismus derart rassistisch war, verlor der Rassismus im Westen an Ansehen. Doch dieser Gesinnungswandel erfolgte keineswegs über Nacht. In den Vereinigten Staaten war die »Überlegenheit der weißen Rasse« noch bis in die 1960er Jahre fester Bestandteil der Politik. In Australien herrschte bis 1973 die »White Australia«-Politik, mit der die Einwanderung Nicht-Weißer eingeschränkt wurde; die australischen Ureinwohner erhielten erst in den 1960er Jahren gleiche Rechte und das Wahlrecht, weil es bis dahin hieß, sie seien nicht in der Lage, ihre Rechte und Pflichten als Bürger wahrzunehmen. Und in Schweden wurden geistig behinderte Menschen noch bis 1975 zwangssterilisiert.
21. Ein nationalsozialistisches Propagandaposter, das rechts einen »reinrassigen Arier« und links den Vertreter eines »Mischvolks« zeigt. In diesem Bild kommt der nationalsozialistische Körperkult genauso zum Ausdruck wie die Furcht, minderwertige »Rassen« könnten den Verfall der Menschheit bewirken.
Der Hass der Nationalsozialisten richtete sich nicht etwa gegen die Menschheit als solche. Sie bekämpften den liberalen Humanismus, die Menschenrechte und den Kommunismus, weil sie die Menschheit bewunderten. Auf ihre perverse Weise glaubten sie an das Potenzial der menschlichen Art. Doch nach der (falsch verstandenen) Logik des Darwinismus müsse die natürliche Auslese ihr Werk tun und dafür sorgen, dass minderwertige Menschen aussortiert würden und nur die Stärksten überlebten und sich fortpflanzten. Der Liberalismus und der Kommunismus schützten die Schwachen und behinderten damit die
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