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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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darüber nach, was das Leid ausmacht, woher es kommt und wie es sich beenden lässt. Schließlich erkannte er, dass das Leid weder durch Schicksalschläge noch soziale Ungerechtigkeit oder göttliche Launen verursacht wird. Die wirklichen Ursachen des Leidens sind vielmehr die eigenen Denk- und Verhaltensmuster.
    Gautama erkannte, dass jede unserer Erfahrungen unser Begehren weckt, und dass dieses Begehren neue Unzufriedenheit schürt. Wenn wir eine angenehme Erfahrung machen, wollen wir, dass diese Erfahrung nie endet, sondern im Gegenteil immer intensiver wird. Und wenn wir eine unangenehme Erfahrung machen, dann wollen wir, dass diese Erfahrung aufhört. Daher ist unser Geist immer unzufrieden und rastlos. Das wird besonders deutlich, wenn wir Schmerz empfinden, aber auch bei angenehmen Erfahrungen bleibt es nicht aus. Menschen, die sich jahrelang nach Liebe sehnen, sind oft unzufrieden, wenn sie schließlich einen Partner finden. Viele quält die Sorge, der andere könnte sie verlassen, andere werden von dem nagenden Zweifel umgetrieben, sie hätten vielleicht einen besseren Partner finden können.
    Die Götter können uns Regen schenken, gesellschaftliche Institutionen können uns im Alter versorgen, und glückliche Zufälle können uns zu Millionären machen, doch an unseren Denk- und Verhaltensmustern ändert das alles gar nichts. Daher sind selbst die Reichsten und Mächtigsten dazu verdammt, in ständiger Sorge zu leben, vor Leid und Trauer zu fliehen und immer größeren Freuden nachzujagen.
    Gautama erkannte jedoch, dass es eine Möglichkeit gibt, diesem Teufelskreis zu entkommen. Wenn wir eine Erfahrung – sei sie angenehm oder unangenehm – einfach als das nehmen, was sie ist, dann verursacht sie kein Leid. Wenn wir Trauer empfinden, ohne ein Ende dieses Zustands herbeizusehnen, dann können wir diese Trauer spüren, ohne unter ihr zu leiden. Und wenn wir Freude empfinden, ohne uns nach immer mehr und immer intensiverer Freude zu sehnen, dann können wir diese Freude erleben, ohne dabei unseren inneren Frieden zu verlieren.
    Aber wie schaffen wir es, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind? Wie können wir Freude als Freude und Schmerz als Schmerz annehmen? Dazu entwickelte Gautama eine Reihe von Meditationstechniken, die uns helfen sollen, uns auf eine einzige Frage zu konzentrieren: »Was spüre ich in diesem Moment wirklich?« und nicht auf die Frage: »Was würde ich in diesem Moment lieber spüren?« Diesen inneren Zustand zu erreichen ist schwer, aber nicht unmöglich.
    Gautama verankerte diese Meditationstechniken in einer Reihe von ethischen Regeln, die es den Menschen erleichtern sollen, sich auf die Wirklichkeit zu konzentrieren statt sich Fantasien und Wunschdenken hinzugeben. Er wies seine Anhänger an, nicht zu töten, nicht zu stehlen und sexuelle Ausschweifungen zu vermeiden, da diese Handlungen das Begehren (nach Macht, Reichtum und Lust) anfachen. Wenn das Feuer des Begehrens erloschen ist, tritt an dessen Stelle ein Zustand völliger Ruhe und Gelassenheit, der als Nirwana bezeichnet wird (Nirwana bedeutet wörtlich »das Erlöschen des Feuers«). Wer das Nirwana erreicht, lässt alles Leid hinter sich und erkennt die Wirklichkeit mit äußerster Klarheit, ohne jedes Wunschdenken. Er macht zwar nach wie vor unangenehme Erfahrungen, aber diese verursachen kein Leid mehr. Ein Mensch, der nichts begehrt, kann nicht leiden.
    Nach der buddhistischen Überlieferung erlangte Gautama das Nirwana und wurde von allem Leiden befreit. Danach wurde er »Buddha« genannt – »der Erleuchtete«. Buddha verbrachte den Rest seines Lebens damit, seine Erkenntnisse an andere weiterzugeben, damit auch sie Begehren und Leid hinter sich lassen konnten. Er reduzierte seine Lehre auf ein einziges Gesetz: Die Ursache des Leids ist das Begehren; wir können uns nur vom Leid befreien, wenn wir uns vom Begehren befreien; und wir können uns nur vom Begehren befreien, wenn wir lernen, die Wirklichkeit so zu sehen, wie sie ist.
    Dieses Gesetz, das als Dharma oder Dhamma bezeichnet wird, ist nach Ansicht der Buddhisten ein allgemeingültiges Naturgesetz. Das Gesetz »die Ursache des Leids ist das Begehren« ist immer und überall wahr, genau wie in der Physik die Gleichung E=mc 2 immer und überall wahr ist. Als »Buddhisten« bezeichnet man Menschen, die an dieses Gesetz glauben und ihr Handeln daran orientieren. Der Glaube an Götter spielt für sie dagegen eine untergeordnete Rolle. Der erste Glaubenssatz der

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