Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
Schließlich wurden doch beide von Gott erschaffen! Doch die meisten Monotheisten verfielen den dualistischen Gegensätzen, weil sie eine einfache Antwort auf das Problem von Gut und Böse boten. Daher wurde dieser Gegensatz bald zu einem festen Glaubenssatz im christlichen und muslimischen Denken. Auch der Glaube an den Himmel (das Reich des Guten) und die Hölle (das Reich des Bösen) geht auf dualistische Religionen zurück. Im Alten Testament findet sich davon noch keine Spur, genauso wenig wie von der Vorstellung, dass die Seele eines Menschen nach dem Tod des Körpers weiterlebt.
Vielleicht lassen sich die monotheistischen Religionen noch am ehesten als kunterbunte Mischung aus monotheistischen, dualistischen, polytheistischen und animistischen Zutaten verstehen, die in einem monotheistischen Topf verrührt werden. Der Durchschnittschrist von heute glaubt an einen monotheistischen Gott, einen dualistischen Teufel, polytheistische Heilige und animistische Geister. Religionswissenschaftler bezeichnen diese Vermischung von unvereinbaren Vorstellungen, Ritualen und Praktiken als Synkretismus. Dieser Synkretismus ist vielleicht die einzige Weltreligion.
Das Gesetz der Natur
Die bisher erwähnten Religionen haben vor allem eines gemeinsam: Sie basieren auf dem Glauben an Götter und andere übernatürliche Wesen. Für die meisten Menschen im Westen scheint das völlig selbstverständlich, doch nicht alle Religionen glauben an einen Gott. Während des Jahrtausends vor Beginn unserer Zeitrechnung breiteten sich in Eurasien ganz andere Religionen aus. Die Neuankömmlinge, zum Beispiel der Jainismus und der Buddhismus in Indien, der Taoismus und Konfuzianismus in China sowie der Stoizismus, der Kynismus und der Epikuräismus des Mittelmeerraums zeichneten sich dadurch aus, dass sie sich nicht für Götter interessierten.
Nach Ansicht dieser Religionen ergab sich die übermenschliche Ordnung der Welt aus Naturgesetzen, die nicht den Launen der Götter unterworfen sind. Sie stritten die Existenz der Götter zwar nicht ausdrücklich ab, doch ihrer Auffassung nach waren auch diese den Naturgesetzen genauso unterworfen wie Menschen, Tiere und Pflanzen. Die Götter hatten ihre eigene Nische im Ökosystem, genau wie Elefanten und Igel, und sie hatten genauso wenig Einfluss auf die Naturgesetze wie diese. Das beste Beispiel für diese Vorstellung ist vermutlich der Buddhismus, die wichtigste der alten »Naturgesetz-Religionen« und bis heute eine der großen Weltreligionen.
Die Hauptfigur des Buddhismus war kein Gott, sondern ein Mensch mit dem Namen Siddhartha Gautama. 70 Nach der buddhistischen Überlieferung war Gautama Thronfolger eines kleinen Königreichs am Fuße des Himalaja und lebte etwa 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Der junge Prinz war zutiefst beeindruckt von dem Leid, das er um sich her sah. Männer und Frauen, Kinder und alte Menschen litten nicht nur, weil sie Opfer von gelegentlichen Katastrophen wie Kriegen und Epidemien wurden. Ihr Leid rührte vielmehr aus Ängsten, Enttäuschungen und einer allgemeinen Unzufriedenheit, die fester Bestandteil der menschlichen Existenz zu sein scheint. Menschen jagen hinter Geld und Macht her, sie häufen Wissen und Reichtümer an, setzen Söhne und Töchter in die Welt und errichten Häuser und Paläste. Aber was sie auch erreichen, sie sind nie zufrieden. Wer in Armut lebt, träumt vom Reichtum. Wer eine Millionen hat, träumte von zwei Millionen. Wer zwei Millionen hat, will zehn. Selbst die Reichen und Schönen sind selten zufrieden. Unablässig werden sie von Befürchtungen und Sorgen gequält, bis ihnen Krankheit, Alter und Tod ein bitteres Ende bereiten. Was sie angehäuft haben, löst sich in Luft auf. Das Leben ist ein sinnloses Hamsterrad. Aber wie kann man dem entkommen?
Karte 5. Die Verbreitung des Buddhismus
Im Alter von 29 Jahren schlich sich Gautama eines Nachts aus dem Palast und ließ seine Familie und sein Erbe zurück. Als Landstreicher zog er durch Nordindien, auf der Suche nach einem Ausweg aus dem Leid. Er besuchte Klöster, folgte Gurus und experimentierte mit verschiedenen Techniken, um dem Leiden zu entkommen. Doch er musste feststellen, dass keiner dieser Wege zur vollständigen Befreiung führte: Ein gewisses Maß an Unzufriedenheit blieb immer zurück. Doch er gab nicht auf, sondern beschloss, dem Leiden allein auf den Grund zu gehen und seinen eigenen Weg zur völligen Befreiung zu gehen. Sechs Jahre lang meditierte Gautama und sann
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