Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
eingeschlossen. Im Jahr 1873 konnte sich der französische Schriftsteller Jules Verne vorstellen, dass seine Romanfigur Phileas Fogg, ein reicher englischer Abenteurer, in achtzig Tagen um die Welt reiste. Und inzwischen kann jeder mit einem mittleren Einkommen die Erde innerhalb von 48 Stunden sicher und bequem umrunden.
Im Jahr 1500 waren die Menschen an die Erdoberfläche gefesselt. Sie konnten zwar Türme errichten und Berge besteigen, doch der Himmel war den Vögeln, Engeln und Göttern vorbehalten. Am 20. Juli 1969 landete der erste Mensch auf dem Mond. Das war nicht nur eine historische, sondern auch eine evolutionäre und kosmische Leistung. Vier Milliarden Jahre lang hatte kein Organismus auch nur die Erdatmosphäre verlassen und schon gar keinen Fuß oder Tentakel auf den Mond gesetzt.
Lange Zeit blieben den Menschen 99,99 Prozent aller Lebewesen auf dem Planeten verborgen: die Mikroorganismen. Nicht, dass ihre Existenz für uns nicht von Interesse gewesen wären. Jeder von uns trägt Abermilliarden von diesen einzelligen Lebewesen mit sich herum. Sie sind unsere besten Freunde und unsere ärgsten Feinde. Sie verdauen unsere Nahrung, räumen unseren Darm auf und hin und wieder bringen sie uns auch um. Doch erst im Jahr 1674 begegnete der Mensch dem ersten Mikroorganismus, als nämlich Anton van Leeuwenhoek durch sein selbstgebautes Mikroskop blickte und zu seiner Verblüffung in einem Wassertropfen eine ganze Welt von quirligen Kleinstlebewesen sah. In den folgenden drei Jahrhunderten haben die Menschen Bekanntschaft mit zahllosen Arten von Mikroorganismen gemacht, die tödlichsten Infektionskrankheiten besiegt und die Mikroorganismen in den Dienst der Medizin und Industrie gestellt. Heute stellen wir Bakterien her, die Medikamente und Biotreibstoffe produzieren und Parasiten töten.
Ein Augenblick, der diese erstaunliche Entwicklung der vergangenen 500 Jahre verkörpert wie kein anderer, ist der 16. Juli 1945, 5 Uhr 29 und 45 Sekunden. In diesem Moment zündeten amerikanische Wissenschaftler in Alamogordo, New Mexico, die erste Atombombe. Von diesem Zeitpunkt an hatte die Menschheit die Möglichkeit, der Geschichte nicht nur eine neue Richtung zu geben, sondern sie auch zu beenden.
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Die historische Entwicklung, die uns nach Alamogordo und auf den Mond führte, wird als »wissenschaftliche Revolution« bezeichnet. Wenn die Menschheit während dieser Revolution einen derartigen Machtzuwachs erlebte, dann lag das daran, dass sie Ressourcen in die naturwissenschaftliche Forschung investierte. Eine Revolution ist es auch deshalb, weil die Menschheit vor dem Jahr 1500 nicht glaubte, dass sie auf medizinischem, militärischem oder wirtschaftlichem Gebiet Fortschritte erzielen konnte. Die Reichen und Mächtigen investierten zwar in Bildung und Wissen, doch dabei ging es ihnen vor allem darum, bestehende Fähigkeiten zu bewahren, und nicht darum, neue zu erwerben. Die typischen vormodernen Herrscher finanzierten Priester, Philosophen und Dichter, damit diese ihre Herrschaft legitimierten und die gesellschaftliche Ordnung aufrechterhielten. Ihre Aufgabe bestand nicht darin, neue Medikamente zu entwickeln, Waffen zu erfinden oder die Wirtschaft anzukurbeln.
In den zurückliegenden fünf Jahrhunderten glaubten dagegen immer mehr Menschen daran, dass sie zusätzliche Macht erwerben konnten, indem sie in die Forschung investierten. Das war indes kein blinder Glaube, denn es bestätigte sich überall und immer wieder. Und je mehr Beweise es gab, umso bereitwilliger investierten die Reichen und Mächtigen neue Mittel in die Wissenschaften. Diesem Glauben und den damit einhergehenden Investitionen haben wir es zu verdanken, dass wir heute zum Mond fliegen, neue Mikroorganismen schaffen und Atombomben zünden können.
Zum Beispiel gab die Regierung der Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahrzehnten Abermilliarden an US -Dollars für die Kernforschung aus. Mit den daraus resultierenden Erkenntnissen konnten Atomkraftwerke errichtet werden, die billige Energie für die amerikanische Industrie lieferten. Diese zahlt Steuern an die Regierung der Vereinigten Staaten, die wiederum einen Teil dieser Einnahmen in die weitere Erforschung der Kernphysik investiert.
Der Selbstverstärkungseffekt der wissenschaftlichen Revolution. Die Wissenschaft benötigt mehr als nur Forschungsergebnisse, um Fortschritte zu erzielen. Sie ist auf die gegenseitige Verstärkung von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft angewiesen.
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