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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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Politische und wirtschaftliche Institutionen stellen die Ressourcen zur Verfügung, ohne die wissenschaftliche Forschung kaum möglich wäre. Im Gegenzug schafft die Wissenschaft neue Macht, die zum Teil auf den Erwerb neuer Ressourcen verwendet wird, und diese wiederum werden zum Teil in die Forschung investiert.
    Warum glaubten in der Neuzeit immer mehr Menschen daran, dass ihnen die Forschung neue Macht verschaffen konnte? Wie kam das Bündnis aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft zustande? In diesem Kapitel sehen wir uns den einmaligen Charakter der modernen Wissenschaften an. In den nächsten beiden geht es um das Bündnis, das die Wissenschaften, die europäischen Kolonialreiche und die kapitalistische Wirtschaft eingingen.
    Wir wissen, dass wir nichts wissen
    Spätestens seit der kognitiven Revolution verspüren die Menschen ein unwiderstehliches Bedürfnis, das Universum zu verstehen. Unsere Vorfahren verwendeten viel Zeit darauf, den Geheimnissen der Natur auf den Grund zu gehen. Doch die moderne wissenschaftliche Tradition unterscheidet sich durch eine Kombination von drei wesentlichen Eigenschaften von allen anderen Wissenstraditionen:
    1. Das Eingeständnis der Unwissenheit. Die moderne Wissenschaft ist bereit zuzugeben, dass sie nicht alles weiß. Mehr noch, sie geht davon aus, dass alles, was wir zu wissen glauben, durch neue Erkenntnisse widerlegt werden kann. Es gibt keine Vorstellung und keine Theorie, die nicht hinterfragt werden kann.
    2. Die zentrale Bedeutung von Beobachtung und Mathematik. Nachdem sie ihre Unwissenheit zugegeben hat, versucht die moderne Wissenschaft, neues Wissen zu erwerben. Dazu sammelt sie Beobachtungen und verknüpft diese mit Hilfe mathematischer Instrumente zu allgemeingültigen Theorien.
    3. Der Erwerb neuer Fähigkeiten. Die moderne Wissenschaft gibt sich nicht damit zufrieden, Theorien aufzustellen. Sie nutzt diese Theorien, um neue Fähigkeiten zu erwerben und vor allem neue Technologien zu entwickeln.
    Die wissenschaftliche Revolution war keine Revolution des Wissens, sondern vor allem eine Revolution der Unwissenheit. Die große Entdeckung, mit der die wissenschaftliche Revolution losgetreten wurde, war die Erkenntnis, dass wir Menschen nicht im Besitz der Wahrheit sind, und dass wir auf die wichtigsten Fragen keine Antworten wissen.
    Vormoderne Wissenstraditionen im Islam, Christentum, Buddhismus oder Konfuzianismus erklärten, dass alles, was es über die Welt zu wissen gab, bereits bekannt war. Die mächtigen Götter, der eine und allmächtige Gott oder die großen Weisen der Vergangenheit waren bereits im Besitz aller Weisheit und aller Antworten, und sie offenbarten uns diese in ihren Schriften und mündlichen Überlieferungen. Wissenserwerb bedeutete, diese alten Weisheiten gründlich zu studieren. Es war unvorstellbar, dass die Bibel, der Koran oder die Vedas ein entscheidendes Geheimnis des Universums übersehen haben könnten, und dass es an gewöhnlichen Sterblichen sein könnte, dieses Geheimnis zu lüften.
    Diese Traditionen kennen nur zwei Arten von Unwissenheit: Erstens könnten Einzelne aus irgendeinem Grund eine entscheidende Erkenntnis nicht mitbekommen haben. In diesem Fall müssen sie nur einen weiseren Menschen fragen. Es besteht keinerlei Notwendigkeit, Neues zu entdecken. Ein Bauer des 13. Jahrhunderts mochte nicht wissen, woher die Menschheit kam. Doch die christliche Tradition hatte die Antwort, und der Bauer konnte einfach einen Geistlichen fragen.
    Und zweitens kann eine ganze Wissenstradition keine Kenntnis von unbedeutenden Details haben. Was die mächtigen Götter nicht offenbarten und was die Weisen der Vergangenheit nicht in ihre Schriften aufnahmen, war definitionsgemäß irrelevant. Wenn unser mittelalterlicher Bauer wissen wollte, wie Spinnen ihr Netz weben, dann hatte es wenig Sinn, sich mit dieser Frage an einen Geistlichen zu wenden, denn die Heilige Schrift hatte nichts über Spinnen zu sagen. Das bedeutet nicht, dass das Christentum unzureichend gewesen wäre, es heißt nur, dass diese Frage keinerlei Relevanz hatte. Gott wusste schließlich, wie Spinnen ihr Netz weben. Wenn diese Information zum Seelenheil der Menschheit beigetragen hätte, dann hätte er eine umfassende Erklärung in die Bibel aufgenommen.
    Das Christentum verbot die Beschäftigung mit Spinnen zwar nicht ausdrücklich. Doch ein Spinnenforscher – wenn es so etwas im Europa des Mittelalters überhaupt gegeben haben sollte – musste seine Randstellung in

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