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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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der Gesellschaft anerkennen und einsehen, dass er mit seinen Erkenntnissen nichts zu den ewigen Wahrheiten des Christentums beizutragen hatte. So viel ein Wissenschaftler auch über Spinnen, Schmetterlinge oder Galapagosfinken herausfinden mochte, es handelte sich um Banalitäten, mit denen er den grundlegenden Wahrheiten der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft nichts hinzufügen konnte.
    Ganz so einfach war das natürlich nie. Selbst in allerfrömmsten Zeiten gab es immer Menschen, die behaupteten, es gebe sehr wohl zentrale Fragen, zu denen die Weisen und die Heiligen Schriften keine Antwort wussten. Doch solche Menschen wurden in der Regel verfolgt oder zum Schweigen gebracht, oder aber sie gründeten ihre eigene Tradition und behaupteten nun ihrerseits, dass sie alles wüssten, was es zu wissen gab. Der Prophet Mohammed begann beispielsweise seine Laufbahn, indem er seine arabischen Landsleute beschuldigte, fern der göttlichen Wahrheit zu leben. Schon bald ging er dazu über zu behaupten, er selbst befinde sich im Besitz dieser Wahrheit, und seine Anhänger nannten ihn »das Siegel der Propheten«. Das heißt, Mohammed hatte das letzte Wort gesprochen, und über seine Offenbarungen hinaus war kein weiteres Wissen mehr nötig.
    Die modernen Wissenschaften bringen dagegen ein völlig neues Wissensverständnis mit und gehen davon aus, dass die Menschheit die wichtigsten Fragen nach wie vor nicht beantworten kann. Darwin bezeichnete sich nie als »das Siegel der Biologie« und behauptete nie, er habe das Rätsel des Lebens ein für allemal gelöst. Auch nach Jahrhunderten der Forschung geben Biologen freimütig zu, dass sie noch immer nicht wissen, wie das Bewusstsein im Gehirn entsteht. Und Physiker gestehen unumwunden, dass sie den Urknall nicht erklären können und keine Ahnung haben, wie sie die Quantenmechanik und die Relativitätstheorie unter einen Hut bringen sollen.
    Widersprüchliche wissenschaftliche Theorien werden anhand von immer neuen Beweisen hitzig debattiert. Ein gutes Beispiel ist die Ökonomie: Wirtschaftswissenschaftler verkaufen ihre jeweilige Theorie zwar gern als die beste und einzig richtige, doch nach jeder Finanzkrise und jeder Aktienblase werden neue Theorien aufgestellt, und die meisten Experten geben zu, dass das letzte Wort noch längst nicht gesprochen ist.
    Es kommt zwar durchaus vor, dass eine Theorie gründlich bewiesen ist und mögliche Alternativen längst zu den Akten gelegt sind. Solche Theorien gelten als wahr, doch wenn neue Entdeckungen gemacht werden sollten, die sie in Frage stellen, dann müssten sie korrigiert oder verworfen werden. Das trifft zum Beispiel auf die Plattentektonik oder die Evolutionstheorie zu.
    Aufgrund dieser Bereitschaft, ihre eigene Unwissenheit einzugestehen, ist die moderne Wissenschaft dynamischer, flexibler und neugieriger als alle früheren Wissenstraditionen. Dies ist ein hervorragender Ausgangspunkt, um neues Wissen zu erwerben und neue Techniken zu erfinden. Daneben stellt es jedoch ein Problem dar, mit dem sich unsere Vorfahren nicht auseinandersetzen mussten. Wenn wir davon ausgehen, dass wir nicht alles wissen, und dass unser Wissen vorläufig ist, dann trifft dies natürlich auch auf die gemeinsame Mythen zu, die wir benötigen, um die effektive Zusammenarbeit von Millionen von Menschen zu organisieren. Wenn bewiesen wird, dass viele dieser Mythen mindestens zweifelhaft sind, wie sollen sie dann eine Gesellschaft zusammenhalten? Wie können Gemeinschaften, Staaten und internationale Systeme dann überhaupt noch funktionieren?
    Daher muss jeder Versuch, die gesellschaftliche und politische Ordnung aufrechtzuerhalten, zu einem von zwei unwissenschaftlichen Tricks greifen:
    1. Man nehme eine wissenschaftliche Theorie und erkläre sie zur endgültigen und absoluten Wahrheit, auch wenn dies der gängigen wissenschaftlichen Praxis widerspricht. Diesen Trick verwendeten die Nationalsozialisten (die ihre Rassentheorien auf vermeintliche biologische Erkenntnisse stützten) oder die Kommunisten (die behaupteten, Marx und Lenin hätten die unwiderlegbare Wahrheit über die Wirtschaft erkannt).
    2. Man klammere die Wissenschaft aus und halte sich an eine absolute Wahrheit, die nicht aus der Wissenschaft stammt. So geht der liberale Humanismus mit seinem Dogma von der Einmaligkeit des Menschen und den daraus abgeleiteten Menschenrechten vor, das leider sehr wenig mit der wissenschaftlichen Erforschung des Homo sapiens zu tun hat.
    Das sollte uns

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