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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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Im Vergleich dazu war Europa ein wirtschaftlicher Zwerg. 87
    Erst zwischen 1750 und 1850 verlagerte sich das globale Machtzentrum nach Europa, als die Europäer die asiatischen Mächte in einer Reihe von Kriegen erniedrigten und weite Teile Asiens eroberten. Im Jahr 1900 beherrschten die Europäer unangefochten die Weltwirtschaft und den größten Teil der Erde. Im Jahr 1950 waren Westeuropa und die Vereinigten Staaten zusammen für mehr als 50 Prozent der Weltwirtschaft verantwortlich, während Chinas Anteil auf 5 Prozent zusammengeschrumpft war. 88 Unter der Ägide der Europäer entstanden eine neue Weltordnung und eine neue Weltkultur. Heute sind die meisten Menschen der Welt kulturell gesehen Europäer, auch wenn sie das nicht so gern zugeben. So sehr sie gegen Europa wettern mögen, die meisten Menschen auf unserem Planeten sehen Politik, Medizin, Krieg und Wirtschaft durch eine europäische Brille. Selbst die aufstrebende Wirtschaftsmacht China, die demnächst zur führenden Weltmacht aufsteigen könnte, wird auf einem europäischen Produktions- und Finanzierungsmodell errichtet.
    Wie gelang es den Europäern, aus ihrem entlegenen Winkel herauszukommen und die ganze Welt zu erobern? Als einer der Gründe werden oft die europäischen Wissenschaften genannt. Niemand würde anzweifeln, dass die Europäer ihre Vorherrschaft nach 1850 zu einem Gutteil dem militärisch-industriell-wissenschaftlichen Komplex und seinen technologischen Wunderwerken verdankten. Alle erfolgreichen Kolonialreiche des 19. und 20. Jahrhunderts förderten die wissenschaftliche Forschung in der Hoffnung auf technologische Innovationen, und viele Wissenschaftler brachten ihre Zeit damit zu, Waffen, Medizin und Maschinen für ihre imperialistischen Geldgeber zu entwickeln. Wenn sie ihren afrikanischen Feinden gegenüberstanden, sagten europäische Soldaten oft: »Egal was passiert, wir haben Maschinengewehre und sie nicht.« Aber genauso entscheidend war die zivile Technologie. Die Soldaten wurden mit Dosennahrung verpflegt, mit Eisenbahnen und Dampfschiffen transportiert und mit einem neuen Arsenal von Arzneimitteln am Leben erhalten. Diese logistischen Fortschritte waren bei der Eroberung von Afrika wichtiger als die Maschinengewehre.
    Vor 1850 war die Situation noch eine ganz andere. Der militärisch-industriell-wissenschaftliche Komplex steckte in den Kinderschuhen, die Früchte der wissenschaftlichen Revolution waren noch nicht reif, und der technische Vorsprung der Europäer gegenüber den asiatischen und afrikanischen Mächten war gering. Als James Cook im Jahr 1770 in Australien anlegte, verfügte er zwar über bessere Technologie als die Aborigines, aber das traf auch auf die Osmanen und Chinesen zu. Warum wurde Australien dann von Kapitän James Cook erkundet und kolonisiert, und nicht von Kapitän Wan Zhengse oder Kapitän Hussein Pascha? Und wenn die Europäer im Jahr 1770 gegenüber den Muslimen, Indern und Chinesen noch keinen nennenswerten technischen Vorsprung hatten, wie gelang es ihnen dann, im Laufe der nächsten hundert Jahre den Graben derart zu vergrößern?
    Warum entwickelte sich der militärisch-industriell-wissenschaftliche Komplex in Europa und nicht in Indien? Als Großbritannien zum großen Sprung ansetzte, warum gelang es Frankreich, Deutschland und den Vereinigten Staaten, so schnell nachzuziehen, während China immer weiter zurückblieb? Und als der Abstand zwischen industrialisierten und nicht-industrialisierten Nationen zum wirtschaftlichen und politischen Machtfaktor wurde, warum gelang es dann Ländern wie Russland, Italien und Österreich, den Anschluss zu halten, nicht aber Persien, Ägypten und dem Osmanischen Reich? Die Technologie der ersten Industriellen Revolution war schließlich nicht sonderlich komplex. Fiel es den Chinesen und Osmanen so schwer, Dampfmaschinen zu bauen, Maschinengewehre zu produzieren und Bahnschienen zu verlegen?
    Die erste kommerzielle Bahnlinie nahm 1830 in Großbritannien ihren Betrieb auf. Im Jahr 1850 waren die westlichen Nationen von einem Schienennetz von 40000 Kilometern Länge überzogen – aber Asien, Afrika und Lateinamerika kamen zusammen auf gerade einmal 400 Kilometer! Bis zum Jahr 1880 war das westliche Schienennetz auf 350000 Kilometer angewachsen, während der Rest der Welt gerade einmal auf 35000 Kilometer kam (wovon die Briten den größten Teil in ihrer Kolonie Indien verlegt hatten). 89 In China wurde die erste Bahnlinie im Jahr 1876 in Betrieb genommen. Sie

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