Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
dasselbe. Man verbrennt einen Brennstoff wie Kohle, und mit der erzeugten Hitze wird Wasser verdampft. Der Dampf dehnt sich aus und drückt auf einen Kolben. Dieser Kolben bewegt sich, und alles mit dem Kolben verbundene wird ebenfalls bewegt. Und schon haben Sie Hitze in Bewegung übersetzt! In den britischen Bergwerken des 18. Jahrhunderts wurde der Kolben mit einer Pumpe verbunden, die das Wasser aus dem Grund der Schächte beförderte. Die frühesten Maschinen waren unglaublich ineffizient, und man musste eine riesige Menge Kohle verbrennen, um kleine Mengen Wasser abzupumpen. Aber Kohle hatten die Bergwerke ja genug, also spielte es keine Rolle.
In den folgenden Jahrzehnten verbesserten britische Ingenieure die Dampfmaschine immer weiter, holten sie aus den Bergwerken und benutzten sie, um Webstühle und Spinnmaschinen anzutreiben. Dank dieser Revolution der Textilindustrie ließen sich billige Stoffe in immer größeren Mengen herstellen. Innerhalb kürzester Zeit wurde Großbritannien zur Werkstatt der Welt. Doch was noch wichtiger war, als die Dampfmaschinen aus den Bergwerken geholt wurden, platzte ein Knoten: Wenn man mit der Verbrennung von Kohle Webstühle antreiben konnte, warum sollte man mit derselben Technik nicht auch andere Dinge bewegen können, zum Beispiel Fahrzeuge?
Im Jahr 1825 verband ein britischer Ingenieur eine Dampfmaschine mit den Loren, die die Kohle aus dem Bergwerk transportierten. Die Maschine zog die Wägen auf mehr als 20 Kilometer langen Eisenschienen vom Bergwerk zum nächsten Hafen. Es war die erste Dampflokomotive der Geschichte. Und wenn sich mit dem Dampf Kohle transportieren ließ, warum dann nicht auch andere Güter? Oder Menschen? Am 15. September 1830 wurde zwischen Liverpool und Manchester die erste Zugverbindung eröffnet. Die Lokomotiven wurden von derselben Dampfenergie angetrieben, die zuvor Wasser aus Bergwerken gepumpt und Webstühle in Bewegung gesetzt hatte. Und nur zwanzig Jahre später hatte Großbritannien ein Schienennetz von mehreren Zehntausend Kilometer Länge. 99
Spätestens ab diesem Moment waren die Menschen besessen von dem Gedanken, dass sich mit Hilfe neuer Maschinen eine Form der Energie in eine andere übersetzen ließ. Jede Form der Energie konnte jede beliebige Tätigkeit übernehmen, vorausgesetzt, man konnte die richtige Maschine dafür erfinden. Als Physiker beispielsweise erkannten, welche gewaltigen Energiemengen in einem Atom gespeichert sind, kamen sie sofort zu dem Schluss, dass sich diese Energie freisetzen und für verschiedenste Zwecke nutzen ließ, sei es um Strom zu erzeugen, Fahrzeuge anzutreiben oder Städte dem Erdboden gleichzumachen. Zwischen der Erfindung des Schießpulvers durch die chinesischen Alchemisten und der Einäscherung Konstantinopels durch die Türken vergingen sechshundert Jahre. Aber zwischen Albert Einsteins Entdeckung, dass sich Masse in Energie umwandeln lässt, und der Einäscherung Hiroschimas und Nagasakis vergingen nur vierzig Jahre.
Eine weitere bahnbrechende Erfindung war der Verbrennungsmotor, der innerhalb von weniger als einer Generation das menschliche Transportwesen revolutionierte und Erdöl in flüssige politische Macht verwandelte. Petroleum war schon seit Jahrtausenden bekannt und wurde zur Imprägnierung, Beleuchtung und als Schmiermittel verwendet. Doch bis vor etwas mehr als einem Jahrhundert interessiert sich kaum jemand dafür, und der Gedanke, dass jemand Blut dafür vergießen könnte, muss den Menschen damals lächerlich erschienen sein. Kriege führte man um Land, Gold, Pfeffer oder Sklaven – aber um Petroleum? Was für ein alberner Gedanke.
Noch erstaunlicher war der Aufstieg der Elektrizität. Vor zwei Jahrhunderten spielte der elektrische Strom in der Wirtschaft keine Rolle und kam bestenfalls in obskuren wissenschaftlichen Experimenten und billigen Taschenspielertricks zum Einsatz. Doch dank einer Reihe von Erfindungen verwandelte er sich in unseren allgegenwärtigen Flaschengeist. Wir schnippen mit dem Finger, und er saust bis ans Ende der Welt und erfüllt uns jeden Wunsch. Er druckt Bücher und näht Kleider, er hält unser Gemüse frisch und gefriert unsere Eiskrem, er kocht unser Essen und tötet Verbrecher, er registriert unsere Gedanken und zeichnet unser Lächeln auf, er macht die Nacht zum Tag und unterhält uns mit Fernsehshows. Kaum jemand versteht, wie er das alles fertigbringt, und noch viel weniger Menschen könnten sich heute ein Leben ohne elektrischen Strom
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