Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
Zahl von Bauern aus, um eine immer größere Zahl von Angestellten und Fabrikarbeitern zu ernähren. In Ländern wie den Vereinigten Staaten oder Deutschland verdienen heute beispielsweise nur noch 2 Prozent der Bevölkerung ihren Lebensunterhalt in der Landwirtschaft 106 , doch diese 2 Prozent reichen aus, um die gesamte Bevölkerung zu ernähren und sogar Überschüsse zu produzieren, die exportiert werden. Ohne die Industrialisierung der Landwirtschaft wäre die Industrielle Revolution in den Städten nie möglich gewesen, weil gar nicht genug Hände und Köpfe für die Fabriken und Büros zur Verfügung gestanden hätten.
Als die Fabriken und Büros die in der Landwirtschaft freigesetzten Arbeitskräfte aufnahmen, konnten sie eine noch nie dagewesene Menge von Produkten herstellen. Heute produziert die Menschheit mehr Stahl, näht mehr Bekleidung und errichtet mehr Gebäude als je zuvor. Dazu kommt eine schwindelerregende Vielfalt von Waren, die sich früher kein Mensch hätte vorstellen können, angefangen von Glühbirnen und Geschirrspülmaschinen bis hin zu Kameras und Mobiltelefonen. Diese Flut von Produkten hat binnen kürzester Zeit einen Jahrtausende alten Menschheitstraum erfüllt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit war das Angebot größer als die Nachfrage. Doch damit stellte sich ein völlig neues Problem: Wer soll das ganze Zeug eigentlich kaufen?
Das Shopping-Zeitalter
Die moderne Wirtschaft basiert auf einem konstanten Wachstum der Produktion. Sie muss immer mehr produzieren, weil sie andernfalls in sich zusammenfällt. Aber die Produktion allein reicht natürlich nicht. Irgendjemand muss diese Erzeugnisse auch kaufen, denn sonst gehen Fabrikanten und Investoren pleite. Um diese Katastrophe abzuwenden und sicherzustellen, dass die Menschen die Masse an produzierten Waren auch kaufen, entstand eine völlig neue Ethik: der Konsumismus.
In der Vergangenheit lebten die meisten Menschen in einer Situation des Mangels. Sparsamkeit war das Zauberwort. Die asketische Lebensweise der Puritaner und Spartaner sind nur zwei Beispiele. Ein guter Mensch vermied den Luxus, warf kein Essen weg und flickte eine zerschlissene Hose, statt sich eine neue zu kaufen. Nur Könige und Adelige konnten es sich leisten, diese Ethik in den Wind zu schlagen und ihren Reichtum zur Schau zu stellen.
Als die Industrielle Revolution das Problem des Mangels behoben hatte und sich plötzlich die Frage stellte, wer die ganzen Erzeugnisse eigentlich kaufen sollte, kam die revolutionäre Ethik des Konsumismus auf. Der Konsumismus bewertet den Konsum von immer mehr Produkten und Dienstleistungen positiv. Er fordert die Menschen auf, sich etwas »zu gönnen« und redet ihnen ein, Sparsamkeit sei ein Komplex, von dem man sich frei machen müsse. Wenn Sie diese Ethik in Aktion sehen wollen, müssen Sie gar nicht lange suchen. Lesen Sie einfach beim Frühstück die Aufschrift auf Ihrer Cornflakes-Packung. Auf meinen Lieblings-Cornflakes der israelischen Marke Telma lese ich jeden Morgen:
Manchmal müssen Sie sich einfach etwas gönnen. Manchmal brauchen Sie einen Extraschub Energie. Manchmal müssen Sie auf Ihr Gewicht achten, und manchmal brauchen Sie einfach etwas – nehmen Sie es sich jetzt!
Nur für Sie bietet Telma eine große Auswahl von leckeren Frühstückszerealien – Genuss ohne Reue.
Die Packung wirbt außerdem für einen Müsliriegel namens »Health Treats«:
Health Treats bietet eine Mischung aus Getreide, Früchten und Nüssen für ein einmaliges Geschmacks- und Gesundheitserlebnis. Ein Genuss für Zwischendurch für den gesunden Lebensstil. Ein wahrer Leckerbissen, der nach mehr schmeckt.
In der Vergangenheit wären die Leser von solchen Werbetexten geradezu angewidert gewesen, weil sie nach Egoismus, Dekadenz und moralischer Verderbtheit schmecken. Doch der Kosumismus hat ganze Arbeit geleistet. Im Zusammenspiel mit der populären Psychologie (»Just Do It!«) hat er uns überzeugt, dass Genuss gut und Sparsamkeit eine Form der Selbstkasteiung ist.
Der Konsumismus hat gesiegt. Heute sind wir alle brave Konsumenten. Wir kaufen unzählige Produkte, die wir nicht brauchen und von denen wir bis gestern gar nicht wussten, dass es sie überhaupt gibt. Hersteller erfinden bewusst Produkte mit kurzer Lebensdauer und entwickeln ständig neue Modelle von im Grunde völlig ausreichenden Produkten. Diese Produkte braucht zwar kein Mensch, wir müssen sie aber trotzdem kaufen, um »in« zu bleiben. Shopping ist
Weitere Kostenlose Bücher