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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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Lebewesen würden selbst unter den rauchenden Trümmern des nuklearen Holocaust hervorkriechen und ihre DNA weitergeben. Vielleicht werden intelligente Ratten in 65 Millionen Jahren voller Dankbarkeit auf die Verheerungen zurückblicken, die wir Menschen heute anrichten, genau wie wir heute auf den Meteoriten zurückblicken, der die Dinosaurier ausradierte.
    Bislang sind jedoch Ängste vor einem möglichen Aussterben der Menschheit verfrüht. Seit Beginn der Industriellen Revolution vermehrten sich die Sapiens wie nie zuvor. Im Jahr 1700 lebten rund 700 Millionen auf der Erde. Bis zum Jahr 1800 war diese Zahl auf 950 Millionen gestiegen. Bis zum Jahr 1900 hatte sie sich fast verdoppelt und betrug nun 1,6 Milliarden. Und im Jahr 2000 hatte sie sich auf 6 Milliarden vervierfacht. Heute leben rund 7 Milliarden Menschen auf unserem Planeten.
    Moderne Zeiten
    Während sich die Sapiens von den Launen der Natur befreien, unterwerfen sie sich zunehmend dem Diktat der Industrie und des modernen Staates. Mit der Industriellen Revolution begann eine Zeit immer neuer gesellschaftlicher Experimente und ungeahnter Umwälzungen des Alltagslebens und der Mentalität der Menschen. Ein Beispiel von vielen ist die Verdrängung der natürlichen jahreszeitlichen Rhythmen, wie sie die traditionelle Landwirtschaft beherrschten, durch die ewig gleichförmigen und vom Sekundenzeiger getakteten Zeitpläne der Industrie.
    Traditionelle landwirtschaftliche Gesellschaften lebten nach den Tageszeiten und den jahreszeitlichen Wachstumszyklen. Sie kannten keine präzise Zeitmessung und brauchten sie auch nicht. Die Menschen gingen ihren Arbeiten auch ohne Uhren und Zeitpläne nach und richteten sich nur nach der Sonne und den Wachstumskreisläufen der Pflanzen. Es gab keinen festgelegten Arbeitstag, und die Abläufe unterschieden sich je nach Jahreszeit erheblich. Die Menschen wussten, wo die Sonne stand und warteten ungeduldig auf die Zeichen für den Frühlings- oder Herbstanfang, aber sie interessierten sich nicht für die Uhrzeit und wussten nicht, in welchem Jahr sie lebten. Wenn ein Zeitreisender in ein mittelalterliches Dorf käme und einen Passanten fragen würde: »In welchem Jahr befinden wir uns?«, dann würde sich der Dörfler über diese sinnlose Frage des Fremden vermutlich genauso wundern wie über seine alberne Kleidung.
    Im Gegensatz zu den Bauern und Schustern des Mittelalters schert sich die moderne Industrie nicht um den Stand der Sonne oder um die Jahreszeiten, sondern besteht auf Präzision und Einheitlichkeit. In einem mittelalterlichen Schusterbetrieb stellte ein Schuhmacher einen ganzen Schuh her, von der Sohle bis zur Schnalle. Wenn einer der Schuhmachergesellen später zur Arbeit erschien, dann hatte das keine Auswirkungen auf die Arbeit seiner Kollegen. Aber in einer modernen Fließbandproduktion bedient jeder Arbeiter eine Maschine, die nur einen kleinen Teil des Schuhs herstellt, der dann an eine andere Maschine weitergereicht wird. Wenn der Arbeiter an Maschine 5 verschläft, kommen alle anderen Maschinen zum Stillstand. Um Ausfälle wie diese zu verhindern, müssen sich alle an einen exakten Zeitplan halten. Alle Arbeiter erscheinen zur gleichen Zeit am Arbeitsplatz. Sie nehmen alle zur gleichen Zeit ihr Mittagessen ein, ob sie hungrig sind oder nicht. Und alle gehen nach Hause, wenn die Sirene das Ende der Schicht verkündet, und nicht, wenn sie ihren Schuh fertiggestellt haben.
    Die Industrielle Revolution hat die Uhr und das Fließband zur Schablone fast aller menschlicher Tätigkeiten gemacht. Kaum hatten die Fabriken dem menschlichen Verhalten ihre präzisen Zeitpläne aufgezwungen, tickten auch Schulen, Krankenhäuser, Behörden und Lebensmittelläden im gleichen Takt. Selbst Aktivitäten, die gar nichts mit Fließbändern und Maschinen zu tun haben, unterwarfen sich der Uhr. Wenn in einer Fabrik um 17:00 Uhr die Schicht zu Ende geht, dann sollte die Kneipe gegenüber spätestens um 17:02 Uhr geöffnet sein.
    Ein entscheidender Motor bei der Verbreitung der Zeitpläne waren übrigens die öffentlichen Verkehrsmittel. Wenn die Schicht um 8:00 Uhr beginnt, sollte der Bus oder Zug um spätestens 7:55 Uhr vor dem Werkstor stehen. Wenn er auch nur ein paar Minuten zu spät kommt, steht das Fließband still und einige Arbeiter verlieren ihre Arbeit. Im Jahr 1784 wurde in Großbritannien der erste Kutschdienst mit Fahrplan eingerichtet. Der Fahrplan gab nur die Abfahrtszeiten an, nicht aber die Ankunftszeiten. Damals

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