Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
vielseitige Ernährung. Bauern leben in der Regel von einer sehr einseitigen Kost. Vor allem in vormodernen Zeiten deckte die Landbevölkerung ihren Kalorienbedarf überwiegend mit einer einzigen Nutzpflanze, zum Beispiel Weizen, Kartoffeln oder Reis, die jeweils nur einen kleinen Teil der Vitamine, Mineralien und anderen Nährstoffe enthalten, die der menschliche Körper benötigt. Wildbeuter ernährten sich dagegen aus Dutzenden verschiedenen Quellen. Dank dieser Vielfalt erhielten sie eine ausgewogene Ernährung und waren weniger anfällig gegenüber Umwelteinflüssen. In einer landwirtschaftlichen Gesellschaft, die auf eine einzige Nutzpflanze angewiesen ist, konnten Dürren oder Überschwemmungen und der nachfolgende Ausfall der Weizen- oder Kartoffelernte leicht zu Hungersnöten führen, denen große Teile der Bevölkerung zum Opfer fielen. Die Jäger und Sammler waren zwar auch anfällig für die Widrigkeiten der Natur und kannten Zeiten des Mangels und des Hungers, doch in der Regel bewältigten sie diese erheblich besser. Wenn eines ihrer Grundnahrungsmittel ausfiel, konnten sie einfach eine andere Pflanze sammeln, ein anderes Tier jagen oder in eine weniger stark betroffene Gegend ausweichen.
Die steinzeitlichen Wildbeuter litten außerdem weniger unter Infektionskrankheiten. Die meisten ansteckenden Krankheiten, mit denen sich landwirtschaftliche und industrialisierte Gesellschaften herumschlagen müssen (zum Beispiel Pocken, Masern oder Tuberkulose) stammen ursprünglich von Haustieren und wurden erst nach der landwirtschaftlichen Revolution auf den Menschen übertragen. Die Jäger und Sammler, die sich höchstens ein paar Hunde hielten, blieben von diesen Geißeln verschont. Dazu kam, dass die Menschen in Agrar- und Industriegesellschaften in beengten und schmutzigen Verhältnissen lebten – eine ideale Brutstätte für Krankheiten. Wildbeuter streiften dagegen in kleinen Gruppen umher, in denen sich keine Epidemien halten konnten.
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Wegen ihrer ausgewogenen und vielseitigen Kost, ihrer kurzen Arbeitszeiten und ihrer gesunden Lebensweise bezeichnen Historiker die Wildbeuter der Steinzeit gern als »die erste Wohlstandsgesellschaft«. Trotzdem sollten wir das Leben dieser Jäger und Sammler nicht durch eine rosarote Brille sehen. Sie lebten zwar besser als die meisten Menschen in Agrar- und Industriegesellschaften, doch ihre Welt konnte hart und erbarmungslos sein. Zeiten der Entbehrung waren nicht selten, die Kindersterblichkeit war hoch, und ein Unfall, etwa ein Sturz von einem Baum, konnte einem Todesurteil gleichkommen. Die meisten Menschen genossen vermutlich die Intimität der umherziehenden Gruppe, doch die Unglücklichen, die sich die Feindschaft oder den Spott der anderen zuzogen, hätten Sartre beigepflichtet, als er sagte, »die Hölle, das sind die anderen«. Auch heute lassen Jäger und Sammler ihre Alten und Kranken oft zurück oder töten sie, weil sie nicht mehr mit der Gruppe mithalten können. Unerwünschte Neugeborene und Kleinkinder werden getötet, und gelegentlich kommt es auch zu religiösen Menschenopfern.
Die Aché, die bis in die 1960er Jahre als Jäger und Sammler durch die Urwälder von Paraguay streiften, vermitteln einen Eindruck von den Licht- und Schattenseiten des Lebens der Wildbeuter. Wenn ein angesehenes Mitglied der Gruppe starb, töteten die Aché traditionell ein Mädchen und bestatteten die beiden zusammen. Anthropologen beschrieben einen Fall, in dem ein Mann mittleren Alters krank wurde und nicht mehr mit den anderen Schritt halten konnte. Die Gruppe ließ ihn unter einem Baum zurück. Über ihm kreisten schon die Geier in freudiger Erwartung einer herzhaften Mahlzeit. Zu ihrem Leidwesen erholte sich der Mann jedoch wieder, eilte der Gruppe nach und schloss sich ihr wieder an. Da er über und über mit dem Kot der Aasfresser bedeckt war, nannte ihn die Gruppe danach nur noch »Geierschiss«.
Wenn alte Frauen der Gruppe zur Last fielen, schlich sich ein junger Mann von hinten an sie heran und erschlug sie mit einer Axt. Einer der Männer erzählte den neugierigen Anthropologen von seinen besten Jahren im Urwald. »Ich habe immer die alten Frauen umgebracht. Ich habe meine Tanten erschlagen … Die Frauen hatten Angst vor mir … Hier, bei den Weißen, bin ich schwach geworden. Ich habe viele alte Frauen umgebracht.« Kinder, die ohne Haare zur Welt kamen, galten als unterentwickelt und wurden sofort getötet. Eine Frau erinnerte sich, dass ihr erstes Baby
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