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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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grundlegenden Fragen wie dem Privateigentum, der Kleinfamilie oder der Monogamie einigen. Vermutlich gab es auch hier ganz erhebliche Unterschiede von einer Gruppe zur nächsten. Es ist gut denkbar, dass einige in einer kommunistischen Utopie lebten, während ihre Nachbarn streng hierarchisiert waren.
    Im russischen Sungir entdeckten Archäologen die etwa 30000 Jahre alte Grabstätte einer Kultur von Mammutjägern. In einem Grab fanden sie die Überreste eines rund 50 Jahre alten Mannes, der mit Ketten von Elfenbeinperlen behängt war. Insgesamt lagen in dem Grab etwa 3000 dieser Perlen. Auf dem Kopf trug der Mann eine mit Fuchszähnen geschmückte Mütze und an den Armen 25 Armreifen aus Elfenbein. Andere Gräber derselben Stätte enthielten deutlich weniger Beigaben. Daraus schlossen die Archäologen, dass die Mammutjäger von Sungir eine hierarchische Gesellschaft gewesen sein müssen, und dass der Verstorbene der Anführer einer Gruppe oder sogar eines aus mehreren Gruppen bestehenden Stammes war. Es war sehr unwahrscheinlich, dass eine einzige Gruppe mit einigen Dutzend Angehörigen derart viele Grabbeigaben hergestellt haben sollte.
    Dann entdeckten die Archäologen ein Grab, das noch faszinierender war. Hier lagen zwei Skelette, die Kopf an Kopf begraben worden waren. Eines gehörte einem zwölf oder dreizehn Jahre alten Jungen, das andere einem etwa neun- oder zehnjährigen Mädchen, dessen Hüfte schwere Deformationen aufwies. Der Junge war mit 5000 Elfenbeinperlen bedeckt und trug eine Mütze mit 250 Fuchszähnen (um auf so viele Fangzähne zu kommen, mussten mindestens 60 Füchse getötet werden). Das Mädchen war mit 5250 Elfenbeinperlen geschmückt. Um die Kinder herum lagen Figürchen und andere Gegenstände aus Elfenbein. Die Wissenschaftler schätzten, dass ein geschickter Schnitzer zur Fertigung einer einzigen Elfenbeinperle etwa 45 Minuten benötigte. Allein für die Herstellung der mehr als 10000 Perlen in dem Grab der Kinder hätte ein geübter Handwerker also rund 7500 Stunden oder drei Arbeitsjahre benötigt.
    Es ist recht unwahrscheinlich, dass sich diese beiden Kinder in ihren jungen Jahren als heldenhafte Anführer oder Mammutjäger bewiesen hatten. Die einzige Erklärung für ein derart extravagantes Begräbnis sind kulturelle Vorstellungen. Einer Theorie zufolge hatten sie ihren Status ihren Eltern zu verdanken. Vielleicht waren es die Kinder des Anführers, und vielleicht glaubte die Kultur an das Charisma der Familie oder hatte strenge Erbfolgeregeln. Nach einer zweiten Theorie galten diese Kinder von Geburt an als heilig, vielleicht weil sie die Wiedergeburt verstorbener Geister waren. Und eine dritte Theorie behauptete schließlich, die Bestattung sage eher etwas über den Tod der Kinder und nichts über ihren Status im Leben aus: Sie seien rituell geopfert worden – möglicherweise im Zusammenhang mit den Bestattungsritualen für den Anführer – und dann mit großem Pomp und Prunk beigesetzt worden. 16
    Wir werden vermutlich nie wissen, was wirklich passierte. Doch die Kinder von Sungir sind der beste Beweis dafür, dass Sapiens schon vor 30000 Jahren in der Lage war, sozio-politische Verhaltensweisen zu erfinden, die weit über das Diktat der Gene und die starren Verhaltensmuster von Tieren und anderen Menschenarten hinausgingen.
    Krieg oder Frieden?
    Und dann ist da noch die heikle Frage nach dem Krieg. Einige Wissenschaftler beschreiben die Welt der Jäger und Sammler als Paradies und behaupten, Krieg und Frieden begannen erst mit der landwirtschaftlichen Revolution, als die Menschen anfingen, Privatbesitz anzuhäufen. Andere Wissenschaftler beschreiben die steinzeitliche Welt dagegen als ausgesprochen grausam und blutig. Beide Theorien sind Luftschlösser, die auf mageren archäologischen Funden und der Beobachtung moderner Jäger und Sammler errichtet werden.
    So verlockend die Erkenntnisse moderner Anthropologen sind, sie sind mit Vorsicht zu genießen. Die heutigen Wildbeuter leben vor allem in entlegenen und unwirtlichen Regionen wie der Arktis oder der Kalahari, wo die Bevölkerungsdichte gering und die Wahrscheinlichkeit einer Begegnung mit Feinden entsprechend klein ist. Vor allem unterstehen die Jäger und Sammler in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend der staatlichen Aufsicht, die den Ausbruch großer Konflikte unterbindet. Nur zweimal hatten Anthropologen die Möglichkeit, große und relativ dichte Populationen von unabhängigen Jägern und Sammlern zu beobachten: Im

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