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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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sich so gut wie gar nicht mehr rekonstruieren. Wann immer eine Gruppe von Sapiens in einem Tal eintraf, das von Neandertalern bewohnt wurde, könnten sich in den folgenden Jahren atemberaubende historische Tragödien abgespielt haben. Leider ist von diesen Begegnungen nichts übrig geblieben als ein paar Knochen und eine Handvoll Werkzeuge, die trotz intensiver wissenschaftlicher Untersuchung schweigen. Aus ihnen können wir Schlüsse über die menschliche Anatomie, Technologie, Ernährung und vielleicht sogar Gesellschaftsstruktur ziehen. Aber sie verraten uns nichts über Bündnisse zwischen benachbarten Sapiens-Gruppen, über die Geister der Toten, die diese Bündnisse segneten, oder über die Elfenbeinperlen, die dem Geisterbeschwörer zugesteckt wurden, um das Wohlwollen der Geister zu erhalten.
    Hinter diesem Vorhang des Schweigens verbergen sich Zehntausende Jahre Menschheitsgeschichte. Diese gewaltigen Zeiträume könnten die Bühne für unzählige Kriege und Revolutionen, religiöse Erweckungsbewegungen, tiefe philosophische Debatten und beispiellose Kunstwerke gewesen sein. Glorreiche Napoleons könnten Reiche von der Größe Liechtensteins erobert haben. Geniale Beethovens könnten ihr Publikum mit einer Bambusflöte zu Tränen gerührt haben. Visionäre Mohammeds könnten die Worte einer Eiche am Fluss verkündet haben. Aber das alles wäre pure Spekulation. Der Vorhang des Schweigens ist so undurchdringlich, dass wir nicht einmal wissen können, ob solche Dinge wirklich passiert sind, und noch viel weniger können wir sie im Detail beschreiben.
    Wissenschaftler stellen meist nur solche Fragen, die sie mit einiger Sicherheit auch beantworten können. Solange sie nicht in eine Zeitmaschine steigen oder die Geister der Steinzeit heraufbeschwören, werden wir wohl nie herausfinden, was die Jäger und Sammler glaubten oder welche politischen Dramen ihre Welt erschütterten. Trotzdem ist es wichtig, Fragen zu stellen, auf die es keine Antworten gibt. Andernfalls wäre die Versuchung groß, 60000 oder 70000 Jahre der Menschheitsgeschichte einfach unter den Teppich zu kehren und zu sagen, »die Menschen, die damals lebten, haben nichts geleistet, was für uns heute von Bedeutung wäre«.
    Denn in Wirklichkeit haben sie eine Menge wichtiger Dinge geleistet. Sie haben nicht nur unser Denken und Fühlen geprägt, das uns bis heute bestimmt, sondern auch unsere gesamte Umwelt. Abenteuerurlauber, die in die sibirische Tundra, die zentralaustralischen Wüsten oder den Amazonasregenwald kommen, glauben oft, dass sie eine »unberührte Natur« betreten, in die nie zuvor ein Mensch seinen Fuß gesetzt hat. Doch das ist eine Illusion. Die Jäger und Sammler waren lange vor uns da und haben selbst den dichtesten Urwald und die einsamste Wildnis in dramatischer Weise gestaltet. Im nächsten Kapitel sehen wir uns an, wie die Wildbeuter die Ökologie unseres Planeten von Grund auf veränderten, lange bevor sie ihr erstes Dorf errichteten. Die umherziehenden Gruppen brandrodender und geschichtenerzählender Sapiens waren die größte und zerstörerischste Kraft, die das Tierreich je hervorgebracht hat.
    8 Christopher Ryan und Cacilda Jethá, Sex at Dawn: The Prehistoric Origins of Modern Sexuality (New York: Harper, 2010).
    9 Noel G. Butlin, Economics and the Dreamtime: A Hypothetical History (Cambridge: Cambridge University Press, 1993), S. 98–101; Richard Broome, Aboriginal Australians (Sydney: Allen & Unwin , 2002), S. 15; William Howell Edwards, An Introduction to Aboriginal Societies (Wentworth Falls, N.S.W.: Social Science Press, 1988), S. 52.
    10 Fekri A. Hassan, Demographic Archaeology (New York: Academic Press, 1981), S. 196–99; Lewis Robert Binford, Constructing Frames of Reference: An Analytical Method for Archaeological Theory Building Using Hunter Gatherer and Environmental Data Set s (Berkeley: University of California Press, 2001), S. 143.
    11 Mit dem »Horizont von Möglichkeiten« ist das gesamte Spektrum von Glaubensvorstellungen, Praktiken und Erfahrungen gemeint, die einer bestimmten Gesellschaft angesichts ihrer ökologischen, technischen und kulturellen Grenzen offenstehen. Jede Gesellschaft und jeder Mensch verwirklicht üblicherweise nur einen Bruchteil dieser Möglichkeiten.
    12 Paul Seabright, The Company of Strangers: A Natural History of Economic Life (Princeton: Princeton University Press, 2004), 261 n. 2; M. Henneberg und M. Steyn, »Trends in Cranial Capacity and Cranial Index in Subsaharan

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