Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
in Wahrheit steht das Klima der Erde nie still. Es befindet sich konstant im Fluss. Während jedes historischen Ereignisses fand im Hintergrund irgendein Klimawandel statt.
Vor allem durchlief unser Planet immer wieder Zyklen der Erwärmung und Abkühlung. Im zurückliegenden Jahrmillion kam es durchschnittlich alle 100000 Jahre zu einer Eiszeit. Die letzte begann vor rund 75000 Jahren und endete vor etwa 15000 Jahren. Sie verlief nicht heftiger als ihre Vorgänger und hatte zwei Höhepunkte, einen vor 70000 und einen weiteren vor 20000 Jahren. Das riesige Diprotodon lebte seit 1,5 Millionen Jahren in Australien und hatte damit mindestens zehn Eiszeiten überstanden. Es hatte auch den ersten Höhepunkt der Eiszeit vor 70000 Jahren gut gemeistert. Warum also verschwand es dann ausgerechnet vor 45000 Jahren? Wenn das Diprotodon das einzige Opfer geblieben wäre, dann hätte man sein Aussterben als bloße Laune der Natur erklären können. Aber mehr als 90 Prozent der australischen Megafauna hatten frühere Eiszeiten überlebt, nur um dann zusammen mit dem Diprotodon zu verschwinden. Es gibt zwar keine direkten Beweise, doch es fällt schwer zu glauben, dass der Homo sapiens just in dem Moment in Australien eintraf, in dem all diese Arten an Unterkühlung starben. 21
Zweitens, wenn ein Klimawandel ein massenhaftes Artensterben bewirkt, dann sind die Meeresbewohner in der Regel genauso betroffen wie die Landlebewesen. Es gibt jedoch keinen Hinweis darauf, das die Meeresfauna vor 45000 Jahren von einem dramatischen Artensterben heimgesucht worden sein könnte. Wenn die Menschen für das Verschwinden der australischen Megafauna verantwortlich sind, dann würde dies auch erklären, warum die Meere um Australien verschont blieben. Bei aller Seetüchtigkeit war der Mensch vor allem ein Landraubtier.
Drittens wiederholten sich die massenhaften Artensterben in den folgenden Jahrtausenden immer wieder – und zwar jedes Mal, wenn Menschen sich in einem anderen Teil der »Neuen Welt« niederließen. In diesen Fällen gibt es an der Schuld der Menschen nichts zu rütteln. Beispielsweise verschwand die Megafauna Neuseelands – die den vermeintlichen Klimawandel vor 45000 Jahren unbeschadet überstanden hatte – unmittelbar nach der Ankunft der ersten Menschen auf den Inseln. Die Maoris (die ersten Siedler auf Neuseeland) landeten vor 800 Jahren auf den Inseln. Innerhalb von wenigen Jahrhunderten waren ein Großteil der Megafauna sowie 60 Prozent aller Vogelarten ausgestorben.
Dasselbe Schicksal ereilte die Mammuts auf der Insel Wrangel im arktischen Meer (200 Kilometer nördlich der sibirischen Küste). Jahrmillionen lang hatten die haarigen Rüsseltiere fast auf der gesamten Nordhalbkugel gegrast, doch mit der Ausbreitung des Homo sapiens – erst in Eurasien, dann in Nordamerika – wurde die Population immer weiter zurückgedrängt. Vor 10000 Jahren gab es auf dem Festland kein einziges Mammut mehr, die einzige Ausnahme waren einige entlegene Inseln der Arktis, vor allem Wrangel. Dort überlebten die Wollelefanten noch einige Jahrtausende, nur um dann urplötzlich vor 4000 Jahren zu verschwinden, ausgerechnet als die ersten Menschen die Insel entdeckten.
Wäre das Artensterben in Australien eine Ausnahme geblieben, könnte man die Menschen vielleicht noch entlasten. Doch der Homo sapiens wurde als ökologischer Massenmörder überführt. Sollen wir wirklich glauben, dass er das Aussterben der Megafauna in Australien nur als unbeteiligter Zuschauer miterlebt hat?
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Die Menschen, die sich in Australien niederließen, brachten nur ihre Steinzeittechnologie mit. Wie sollten sie damit eine ökologische Katastrophe anrichten? Dafür gibt es drei Erklärungen, die einander gut ergänzen.
Erstens vermehren sich Großsäugetiere, zu denen die meisten Opfer des Artensterbens in Australien gehörten, ausgesprochen langsam. Ihre Tragzeit ist lang, sie bringen oft nur ein oder zwei Junge auf einmal zur Welt, und zwischen den einzelnen Geburten vergeht viel Zeit. Wenn Menschen auch nur alle paar Monate ein Diprotodon erlegen, reicht das schon aus, damit die Sterberate der Tiere größer wird als ihre Geburtenrate. Innerhalb weniger Jahrtausende starb das letzte Diprotodon. 22
Die ersten Australier hatten vermutlich leichtes Spiel mit den Diprotodonten und anderen Großsäugetieren, denn sie hatten das Überraschungsmoment auf ihrer Seite. In Afrika und Eurasien lebten seit zwei Millionen Jahren verschiedene Menschenarten. Sie
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