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Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)

Titel: Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yuval Noah Harari
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Kälte angepasst hatten, bevorzugten die wärmeren Regionen weiter im Süden. Doch der Homo sapiens , dessen Körper eigentlich für das Leben in der afrikanischen Savanne geschaffen war, und nicht für das Leben in Schnee und Eis, fand geniale Antworten auf die klimatischen Herausforderungen. Als die Sapiens immer weiter nach Norden vordrangen, erfanden sie Schneeschuhe und effektive Thermobekleidung aus mehreren Schichten von Fellen und Häuten, die sie mit Hilfe von Nadeln fest zusammennähten. Sie entwickelten neue Waffen und Jagdmethoden, mit denen sie die Mammuts und andere Riesensäugetiere erlegten, die für den hohen Norden typisch waren. Mit immer besserer Bekleidung und immer besseren Jagdtechniken gewappnet, wagten sie sich Schritt für Schritt in die eisigen Weiten Europas und Sibiriens vor.
    Aber warum sollte überhaupt irgendjemand auf den Gedanken kommen, nach Sibirien zu wandern? Es ist möglich, dass einige Gruppen durch Kriege, demographischen Druck oder Naturkatastrophen dorthin gedrängt wurden. Wir können jedoch davon ausgehen, dass die meisten sehr bereitwillig in die Arktis zogen, denn hier wimmelte es nur so von großen Beutetieren wie Mammuts und Rentieren. Ein Mammut war ein wandelnder Supermarkt aus Fleisch, Fett, Fell und Elfenbein. Die Funde aus Sungir belegen, dass die Mammutjäger des Nordens nicht einfach nur um ihr Überleben kämpften – es ging ihnen offenbar sehr gut. Auf der Jagd nach Mammuts, Mastodonten, Wollnashörnern und Rentieren zogen die Gruppen immer weiter. Vor rund 16000 Jahren führte sie die Jagd schließlich vom Nordosten Sibiriens nach Alaska. Natürlich wussten sie nicht, dass sie eine »Neue Welt« entdeckten. Für Mensch und Mammut war Alaska nur eine Verlängerung von Sibirien.
    Damals blockierten gewaltige Gletscher den Weg von Alaska zum Rest des Kontinents, weshalb nur wenige wagemutige Pioniere weiter nach Süden vordrangen. Doch vor rund 14000 Jahren setzte eine Erwärmung ein, das Eis schmolz und der Weg wurde frei. Über diesen neuen Korridor wanderten die Menschen nun nach Süden und breiteten sich wie ein Buschfeuer über den gesamten Kontinent aus. Obwohl sie ursprünglich auf die Großwildjagd in der Arktis eingestellt waren, passten sie sich sehr schnell an die erstaunliche Vielfalt von Klimaten und Ökosystemen an. Sie ließen sich in den dichten Wäldern im Osten von Nordamerika genauso nieder wie in den Sümpfen der Mississippi-Mündung, den Wüsten Nordmexikos und den Urwäldern Mittelamerikas. Einige siedelten sich in der Flußwelt des Amazonasbeckens an, andere in den Hochtälern der Anden und wieder andere im offenen Grasland Argentiniens. Und das alles innerhalb von nur ein oder zwei Jahrtausenden! Spätestens vor 12000 Jahren lebten Menschen in Feuerland, an der Südspitze Südamerikas. Der rasante Feldzug, in dem sich die Menschen über den Doppelkontinent ausbreiteten, zeugt vom beispiellosen Erfindungsreichtum und der unübertroffenen Anpassungsfähigkeit des Homo sapiens . Kein anderes Tier hat jemals etwas Vergleichbares geschafft. 24
    Doch der »Blitzkrieg« hinterließ auch eine lange Reihe von Opfern. Vor 16000 Jahren war die Fauna des Doppelkontinents noch deutlich reicher als heute. Als die ersten Amerikaner von Alaska aus Richtung Süden marschierten, stießen sie auf den großen Ebenen Nordamerikas auf Mammuts und Mastodonten, Nagetiere von der Größe von Bären, Herden von Pferden und Kamelen, riesige Löwen und Dutzende von völlig fremden Arten. Furchterregende Säbelzahntiger lebten neben Riesenfaultieren, die ein Gewicht von acht Tonnen und eine Größe von sechs Metern erreichen konnten. Und in Südamerika lebte eine noch größere Vielfalt von Riesensäugetieren, Reptilien und Vögeln. Wie Australien war der amerikanische Doppelkontinent ein großes Labor der Evolution, hier lebten Tiere und Pflanzen, die im Rest der Welt völlig unbekannt waren.
    Doch das änderte sich rasch. Innerhalb von nur zwei Jahrtausenden war von diesem Artenreichtum nicht mehr viel übrig. Nach heutigen Schätzungen verschwanden in diesem kurzen Zeitraum in Nordamerika 34 von 47 Großsäugetierarten, und in Südamerika sogar 50 von 60. Die Säbelzahnkatzen, die sich mehr als dreißig Millionen Jahre lang prächtig entwickelt hatten, verschwanden beinahe über Nacht, genau wie die Riesenfaultiere, Riesenlöwen, Pferde, Kamele, Riesennager und Mammuts. Tausende von kleineren Säugetieren, Reptilien, Vögeln und selbst Insekten und Parasiten

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