Eine kurze Geschichte der Menschheit (German Edition)
erklären.
Patriarchale Gene
Biologische Theorien über die Entstehung des Patriarchats lassen vermuten, dass Männer und Frauen in ihrer Jahrmillionen langen Evolution unterschiedliche Überlebensstrategien entwickelten. Da Männer miteinander konkurrierten, um fortpflanzungsfähige Frauen schwängern und ihre Gene weitergeben zu können, mussten sie ihre Konkurrenten aus dem Feld schlagen. Auf diese Weise wurden die Gene der ehrgeizigsten, aggressivsten und konkurrenzfähigsten Männer an die nächste Generation weitergegeben.
Eine Frau hatte dagegen keine Schwierigkeiten, einen fortpflanzungsfähigen Mann zu finden, der bereit war, sie zu schwängern. Wenn sie ihre Gene an die nächste und übernächste Generation weitergeben wollte, musste sie ihre Kinder neun lange Monate austragen und über Jahre hinweg großziehen. In dieser Zeit hatte sie weniger Gelegenheit, Nahrung zu suchen, und war auf die Unterstützung anderer angewiesen. Mit anderen Worten brauchte sie einen Mann. Um ihr Überleben und das ihrer Kinder zu sichern, blieb ihr kaum etwas anderes übrig, als den Bedingungen zuzustimmen, die dieser Mann stellte, um bei ihr zu bleiben und einen Teil der Verantwortung zu schultern. Auf diese Weise wurden vor allem die Gene der fügsamsten und fürsorglichsten Frauen an die nächste Generation weitergegeben. Das Resultat dieser unterschiedlichen Überlebensstrategien war, dass Männer das aggressive Konkurrenzverhalten entwickelten, mit dem sie in Politik und Wirtschaft erfolgreich sind, während Frauen dazu neigen, Platz zu machen und ihre Energie darauf verwenden, den Erfolg ihrer Männer und Söhne zu unterstützen.
Auch diese Theorie hat ihre Schwächen. Besonders problematisch ist die Annahme, dass Frauen in ihrer Abhängigkeit auf die Unterstützung der Männer angewiesen waren und nicht auf andere Frauen, und dass die Männer aufgrund ihres Konkurrenzverhaltens eine gesellschaftliche Überlegenheit erlangten. Bei vielen Tierarten, zum Beispiel den Elefanten oder Bonobos, führt die Konstellation »abhängige Weibchen« und »konkurrierende Männchen« nämlich zu matriarchalen Gesellschaften. Da die Weibchen nicht allein überleben können, müssen sie ihre Sozialkompetenz entwickeln und lernen, mit anderen zu kooperieren und Kompromisse zu schließen. Dazu schaffen sie ausschließlich weibliche Netzwerke, deren Angehörige sich gegenseitig bei der Aufzucht des Nachwuchses unterstützen. Die Männchen verbringen inzwischen ihre Zeit mit Kämpfen. Ihre Sozialkompetenz bleibt unterentwickelt, ihre sozialen Bande sind schwach. Die Gesellschaften von Bonobos und Elefanten werden von starken Netzwerken kooperativer Weibchen beherrscht, während die egoistischen und unkooperativen Männchen an den Rand gedrängt werden. Die Weibchen sind zwar meist schwächer als die Männchen, doch sie verbünden sich gegen männliche Artgenossen, die über die Stränge schlagen.
Wenn dies bei Elefanten und Bonobos passierte, warum dann nicht auch beim Homo sapiens ? Menschen sind relativ schwache Tiere, deren Stärke vor allem darin besteht, dass sie in großen Gruppen kommunizieren und kooperieren können. Umso mehr sollte man meinen, dass die »abhängigen« Frauen mit ihrer überlegenen Sozialkompetenz und ihrer Notwendigkeit zur Kooperation die aggressiven, autonomen und egoistischen Männer leicht ausbooten und manipulieren könnten.
Wie kam es, dass in einer Art, deren Erfolg vor allem von der Kooperation abhängt, eine vermeintlich kooperativere Gruppe, nämlich die Frauen, von einer vermeintlich weniger kooperativen Gruppe, nämlichen den Männern, beherrscht wird? Das ist die große Frage in der Geschichte der Geschlechter, und auf sie haben wir bislang keine überzeugende Antwort. Vielleicht ist ja schon die Grundannahme falsch. Könnte es sein, dass sich die männlichen Angehörigen der Homo sapiens gerade nicht durch überlegene Körperkraft, Aggressivität und Konkurrenzfähigkeit auszeichnen, sondern durch überlegene Sozialkompetenz und größere Kooperationsbereitschaft? Auf diese Fragen haben wir keine Antwort.
TEIL 3
DIE VEREINIGUNG DER
MENSCHHEIT
Kapitel 9 Der Pfeil der Geschichte
Nach der landwirtschaftlichen Revolution wurden die menschlichen Gesellschaften immer größer und komplexer, und die erfundenen Ordnungen, die diese Gesellschaften zusammenhielten, wurden immer raffinierter. Mythen und Märchen programmierten die Menschen darauf, fast von Geburt an auf eine bestimmte Weise zu denken
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