Eine kurze Geschichte der Zeit (German Edition)
jener – in der Wissenschaft gar nicht so seltenen – Fälle, in denen man erkennt, was man erkennen will. In einer Reihe späterer Beobachtungen ist die Lichtablenkung dann jedoch exakt bestätigt worden.
Nach einer anderen Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie müßte die Zeit in der Nähe eines massereichen Körpers wie der Erde langsamer verstreichen. Dies beruht auf einer bestimmten Beziehung zwischen der Energie des Lichtes und seiner Frequenz (das heißt der Anzahl von Lichtwellen pro Sekunde): je größer die Energie, desto höher die Frequenz. Wenn sich das Licht im Gravitationsfeld der Erde aufwärts bewegt, verliert es an Energie, und damit nimmt auch seine Frequenz ab (das heißt, der Zeitraum zwischen zwei aufeinanderfolgenden Wellenkämmen wird länger). Jemand, der aus großer Höhe auf die Erde hinabblickte, hätte den Eindruck, daß dort unten alle Ereignisse langsamer vonstatten gingen. Diese Vorhersage wurde 1962 überprüft, indem man zwei sehr präzise Uhren oben und unten an einem Wasserturm anbrachte. Man stellte fest, daß die Uhr am Fuß des Turms in genauer Übereinstimmung mit der Relativitätstheorie langsamer ging. Die unterschiedliche Gangart von Uhren in verschiedenen Höhen über der Erde hat beträchtliche praktische Bedeutung gewonnen, seit es sehr genaue Navigationssysteme gibt, die von Satellitensignalen gesteuert werden. Blieben die Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie unberücksichtigt, würden sich bei den Positionsberechnungen Fehler von mehreren Kilometern ergeben!
Newtons Bewegungsgesetze machten der Vorstellung von einer absoluten Position im Raum ein Ende. Die Relativitätstheorie räumte mit der Idee der absoluten Zeit auf. Stellen Sie sich ein Zwillingspaar vor. Der eine Zwilling lebt auf einem Berggipfel, der andere auf Meereshöhe. Der erste würde rascher altern als der zweite. Wenn sie sich wieder träfen, wäre der eine älter als der andere. In diesem Fall wäre der Altersunterschied sehr gering, aber er könnte sehr viel größer sein, wenn einer der Zwillinge eine lange Reise in einem Raumschiff unternähme, das sich beinahe mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegte. Bei seiner Rückkehr wäre er sehr viel jünger als der auf der Erde gebliebene Zwillingsbruder. Dieser Effekt wird als Zwillingsparadoxon bezeichnet, doch er ist nur paradox, wenn man noch die Vorstellung von der absoluten Zeit im Hinterkopf hat. Eine einzige, absolute Zeit gibt es in der Relativitätstheorie nicht. Nach ihr hat jedes Individuum sein eigenes Zeitmaß, das davon abhängt, wo es sich befindet und wie es sich bewegt.
Vor 1915 stellte man sich Raum und Zeit als den festgelegten Rahmen vor, in dem die Ereignisse stattfinden können, der aber durch das, was in ihm geschieht, nicht beeinflußt wird. Das galt sogar noch für die Spezielle Relativitätstheorie. Körper bewegen sich, Kräfte ziehen an oder stoßen ab, doch Zeit und Raum dauern einfach fort, unberührt von dem, was geschieht. Man ging ganz selbstverständlich davon aus, daß Zeit und Raum ewigen Bestand hätten.
In der Allgemeinen Relativitätstheorie stellt sich die Situation jedoch grundlegend anders dar. Raum und Zeit sind nun dynamische Größen: Wenn ein Körper sich bewegt oder eine Kraft wirkt, so wird dadurch die Krümmung von Raum und Zeit beeinflußt – und umgekehrt beeinflußt die Struktur der Raumzeit die Bewegung von Körpern und die Wirkungsweise von Kräften. Raum und Zeit wirken nicht nur auf alles ein, was im Universum geschieht, sondern werden auch davon beeinflußt. So wie man ohne die Begriffe von Raum und Zeit nicht über Ereignisse im Universum sprechen kann, so ist es in der Allgemeinen Relativitätstheorie sinnlos, über Raum und Zeit zu sprechen, die außerhalb der Grenzen des Universums liegen.
Dieses neue Verständnis von Raum und Zeit veränderte in den folgenden Jahrzehnten unsere Auffassung vom Universum von Grund auf. An die Stelle der alten Vorstellung von einem im wesentlichen unveränderlichen, ewig bestehenden Universum trat das Modell eines dynamischen, expandierenden Universums, das einen zeitlich fixierbaren Anfang zu haben scheint und zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft enden könnte. Diese Umwälzung unserer Begriffe ist Thema des nächsten Kapitels. Und Jahre später war sie auch der Ausgangspunkt meiner Beiträge zur theoretischen Physik: Aus Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie folgt, so wiesen Roger Penrose und ich nach, daß das Universum
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